Teil III:
Komplette Bauwerke aus einer Hand


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Kommentar zur digitalen Neuausgabe 2019 von «Günstiger bauen»
(20 Jahre nach der erstmaligen Publikation)

Im Teil III beschreibe ich ein ziemlich neuartiges Ausschreibungsverfahren, bei dem unter Konkurrenz komplette Gebäude aus einer Hand beschafft werden. Ausschreibungsteilnehmer sind Totalunternehmer, welche das Bauwerk zuerst planen und anschliessend für einen festen Werkpreis anbieten. Im Unterschied zum Generalunternehmerverfahren sind die Projekte also nicht gleich, sondern unterschiedlich. Es findet somit nicht nur ein Preiswettbewerb statt, sondern gleichzeitig auch ein Ideenwettbewerb. Das Verfahren wird im Buch als Gesamtleistungsausschreibung bezeichnet.

In den letzten 20 Jahre Jahren habe ich mit dieser Methode keine neuen praktischen Erfahrungen gesammelt, weshalb ich dazu auch keine weiteren Erkenntnisse habe. Gemäss meiner Einschätzung dürfte sich der grundsätzliche Ablauf des Verfahrens in der Zwischenzeit aber nicht wesentlich verändert haben. Die Marktakteure allerdings, also die Anbieter von Gesamtleistungslösungen, sind natürlich nicht mehr die gleichen wie vor 20 Jahren. Von den im Kapitel 16 (Abschnitt 16.1) beispielhaft vorgestellten Anbietern sind nur noch die wenigsten unter dem damaligen Firmennamen aktiv. Einige sind übernommen worden, andere konkurs gegangen.

Die Darlegungen zur Gesamtleistungsausschreibung dürften zum grössten Teil immer noch stimmen. Der Teil III von «Günstiger bauen» kann daher weiterhin mit Gewinn gelesen werden. In meinem neueren Buch «Mit wem baue ich? – Bauausführung aus Bauherrensicht» (2013) beschreibe ich die Thematik nicht wesentlich anders als im Buch «Günstiger bauen» von 1999, aber deutlich gekürzt. Der Stoff ist dort im Kapitel 14 unter dem Begriff «Totalunternehmersubmission» enthalten und der Umfang ist reduziert von rund 70 Seiten auf 27 Seiten. 

Angepasst habe ich im neuen Buch die Aussagen zu den Wettbewerbskosten, welche der Bauherrschaft erwachsen (Entschädigung an die Teilnehmer der Totalunternehmersubmission).

Weiterhin sehr interessant ist aus meiner Sicht die Beschreibung des Beispiels einer Gesamtleistungsausschreibung, bei der Projektoptimierung in radikaler Form betrieben wird. Es handelt sich dabei um die Wohnüberbauung Bostuden in Thun (siehe nachfolgend im Kapitel 14; Abschnitt 14.1).

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Inhalt Kapitel 14:

14.1 Der neue Weg: Die Gesamtleistungsausschreibung
14.2 Gesamtleistungsausschreibung: Varianten einer Grundidee
14.3A Das Modell der Generalunternehmer (VSGU-Modell)
14.3B Die Praktikermethode

Das traditionelle Bauen mit einem Architekten als wichtigstem Ratgeber ist für die nicht sachkundige Bauherrschaft eine komplizierte und zuweilen auch nervenaufreibende Angelegenheit. Der grosse Umfang des Teils II des Buches, der dem konventionellen Architektenverfahren gewidmet ist, zeugt von der Fülle von Fragen, mit denen Baulustige konfrontiert sein können.

Viele Bauwillige träumen von einem neuen Weg, der das Bauen weniger abenteuerlich macht. Es wäre ein schlechtes Zeichen für einen freien Markt, wenn er für dieses offensichtliche Bedürfnis nicht ein Angebot entwickeln würde.

Im Teil III des Buches befassen wir uns mit dem neuen Weg: der Gesamtleistungsausschreibung.

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Karikatur von Orlando – Rechte bei Hans Röthlisberger

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14.1 Der neue Weg: Die Gesamtleistungsausschreibung

In diesem einleitenden Abschnitt gehen wir, teilweise als Wiederholung, auf die charakteristischen Merkmale der Gesamtleistungsausschreibung ein. Wir fragen uns, wodurch sie sich vom traditionellen Architektenverfahren unterscheidet, welche Rolle der Bauherrschaft zukommt und wieso das Modell gerade jetzt eine Blütezeit erlebt.

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Was ist die «Gesamtleistungsausschreibung»?

Im Kapitel 4 haben wir die Gesamtleistungsausschreibung bereits in den Grundzügen dargestellt (siehe Abschnitt 4.2D «Gesamtleistungsauschreibung»). Wir gehen auf die beiden zentralen Merkmale nochmals kurz ein.

Merkmal 1: Planung und Ausführung aus einer Hand

Führung und Verantwortung sind beim Gesamtleistungsmodell während des ganzen Projektes an einer Stelle konzentriert: beim Totalunternehmer. Diese ungeteilte Verantwortung reicht von den ersten Überlegungen der Planer (eventuell auf der Basis eines vorgegebenen Grobkonzepts) bis zur Bauausführung im Werkvertrag. Die Anbieter derartiger Leistungen sind überzeugt, dass nur so ein optimales Ergebnis beim Bauen möglich sei. Nur wer selber ausführend tätig sei, könne vorgängig als Planer im Sinne des Investors das Gesamtoptimum erreichen.

Merkmal 2: Anbieter in Konkurrenz

Vor der Auftragserteilung herrscht unter den Anbietern von Gesamtleistungen ein Konkurrenzverhältnis. Der Wettbewerb sorgt dafür, dass sich der Preis der angebotenen Leistung am Markt orientiert. Der Investor erhält somit nicht nur die gesamte Leistung aus einer Hand, er hat zudem die Gewissheit, dass sich der Preis im freien Spiel der Marktkräfte bildet.

Bauliche Gesamtleistungen können zwar durchaus auch ohne Konkurrenz (im Direktauftrag) bestellt werden. Im ganzen Teil III dieses Buches haben wir aber immer eine Konkurrenzausschreibung vor Augen, wenn wir von Gesamtleistungen sprechen: Die Bauherrschaft holt also für das Bauvorhaben mehr als nur eine Offerte ein.

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Zum Namen des Verfahrens

Da das Verfahren der Gesamtleistungsausschreibung noch wenig verbreitet ist, hat sich in der Bauwirtschaft auch noch kein allgemein anerkannter Name eingebürgert. Es werden auch Bezeichnungen wie Totalunternehmersubmission, Totalunternehmerwettbewerb oder Gesamtleistungswettbewerb verwendet. Der letztgenannte Ausdruck findet sich beispielsweise im neuen Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen. Es sind allesamt wenig elegante Bezeichnungen für einen eleganten Weg.

Bei der Namenwahl habe ich mich davon leiten lassen, dass ich in diesem Buch nicht auf alle Untervarianten des Totalunternehmermodells gleichwertig eingehe, sondern ein ausgewähltes Verfahren vertieft behandle: die sogenannte Praktikermethode. Die Praktikermethode ist mit einem konventionellen Architektenwettbewerb nur sehr beschränkt vergleichbar, weshalb ich auf den Begriff «Wettbewerb» bei der Bezeichnung des Verfahrens verzichte. Es geht bei der Praktikermethode vielmehr darum, die Lieferung baulicher Gesamtleistungen unter einem relativ kleinen Kreis von Interessierten auszuschreiben, so wie beispielsweise die Lieferung von grossen Maschinen oder Anlagen unter einigen wenigen spezialisierten Anbietern ausgeschrieben wird.

Aufgrund der privilegierten Betrachtung des Praktikerverfahrens gebrauche ich in diesem Buch konsequent den Ausdruck «Gesamtleistungsausschreibung» und nicht «Gesamtleistungswettbewerb».

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Bauwerke kaufen wie Autos?

Mit der Gesamtleistungsausschreibung verändern sich, verglichen mit dem traditionellen Architektenverfahren, die Aufgaben der Bauherrschaft erheblich. Gelegentlich wird behauptet, mit der neuen Methode könne sie Bauwerke fast so einfach einkaufen wie Autos. Was hat es mit dieser Aussage auf sich?

Fragen wir uns zuerst, wie der Kauf eines Autos typischerweise abläuft. Zuerst besorgt sich eine kauflustige Person Prospekte, studiert Testberichte und hört sich bei Bekannten um. Dann unternimmt sie möglicherweise einige Probefahrten und lässt sich von verschiedenen Autohändlern Offerten ausarbeiten. Nun hat sie die wesentlichen Grundlagen, die für den Entscheid nötig sind, in der Hand. Die harten Fakten wie Leistungsmerkmale und Preis sind bekannt. Es sind eher die «weichen» Gesichtspunkte wie das Design oder der Prestigewert des Fahrzeugs, welche die Wahl zur Qual machen können.

Für einige spezielle Arten von Bauwerken ist dieser einfache Weg des Einkaufens schon lange möglich. Ein Beispiel sind Einfamilienhäuser. Wenn eine Bauherrschaft die Umtriebe des traditionellen Bauens scheut, geht sie zu einem Anbieter von Typenhäusern. Sie lässt sich, vielfach gratis, ein Angebot ausarbeiten für die schlüsselfertige Erstellung ihres Wunschhauses einschliesslich aller Nebenkosten. Mit Vorteil holt sie von mehreren Anbietern Offerten ein. Am Schluss hat sie nur noch die Aufgabe, die Offerten zu vergleichen. Sie hat eine Anzahl Häuser mit unterschiedlichen Eigenschaften zur Auswahl. Die Preise liegen verbindlich vor. Sie weiss genügend genau, was sie für die Angebote bekommt, dokumentiert durch Pläne und Baubeschriebe. Vielleicht kann sie sogar Musterhäuser besichtigen.

Mit der Gesamtleistungsausschreibung wird es nun möglich, auch komplexe Bauvorhaben wie Wohnüberbauungen, Geschäftshäuser oder Fabriken ähnlich wie Autos einzukaufen: mit mehreren Offerten, genau definierten Leistungsmerkmalen und verbindlichen Preisen. Vor einer vorschnellen Schlussfolgerung sollten sich interessierte Baulustige aber hüten: Die Aufgaben der Bauherrschaft sind bei diesem Verfahren keineswegs leicht. Wie wir später sehen werden, gibt es darunter sogar ausgesprochen anspruchsvolle Teilaufgaben, namentlich die Ausarbeitung des Pflichtenhefts und den Vergleich der Angebote.

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Beispiel einer Gesamtleistungsausschreibung: Projektoptimierung in radikaler Form

Mit einem eindrücklichen Beispiel wollen wir uns mit der Grundidee der Gesamtleistungsausschreibung vertraut machen. Es zeichnet sich dadurch aus, dass der Spielraum für die Teilnehmer der Ausschreibung sehr gross ist. Die Bauherrschaft formuliert ein klares Ziel, lässt aber den Weg zum Ziel völlig offen. Die Totalunternehmer haben hier alle Freiheiten, ihre Projekte radikal zu optimieren.

Ausgangslage

Eine Immobiliengesellschaft der Schweizerischen Bankgesellschaft veranstaltet im Jahre 1993 eine Gesamtleistungsausschreibung für die Realisierung einer Wohnüberbauung mit rund 100 Wohnungen in Thun (Quartier Bohnstaudenzelg). Die Ausschreibung hat zum Ziel, «den Wohnungsbau hinsichtlich Kostenoptimierung konsequent zu hinterfragen und Vorschläge für Konzepte zu erhalten, welche gute, unkonventionelle Architektur bei hoher Wirtschaftlichkeit bieten sollen, um damit die Grundlage für ein attraktives Angebot an preisgünstigen Wohnungen zu schaffen» (aus einem Papier zu einer Informationsveranstaltung der Projektbeteiligten vom 29. Oktober 1996 in Thun).

Pflichtenheft

Das Pflichtenheft der Bauherrschaft zeichnet sich dadurch aus, dass die Freiheitsgrade für die Gestaltung der Projekte aussergewöhnlich gross sind. Es ist kaum möglich, sich für eine Wohnüberbauung eine radikalere Form des Wettbewerbes der Ideen vorzustellen. Der Wohnungsmix wird nur als ungefähre Richtgrösse vorgegeben. Der Ausbaustandard kann durch den Anbieter völlig frei bestimmt werden. Hinsichtlich der Bauqualität wird im Pflichtenheft nur gesagt, dass sie allen Gesetzen entsprechen muss.

Im Pflichtenheft ist eindeutig definiert, welches Ziel die Anbieter erreichen müssen: Die Rendite (netto) soll möglichst hoch sein. Mit einer Klarheit ohnegleichen wird in den Ausschreibungsunterlagen formuliert, auf welche Weise der Gewinner ermittelt wird:

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«Das einzige Entscheidungskriterium ist die Wirtschaftlichkeit, also die Höhe der nachgewiesenen Nettorendite (…). Die Aspekte Wohnwert, Grundrissgestaltung und architektonische / städtebauliche Lösung sind wesentliche Teilelemente, welche über die realisierbaren Mietzinsen direkt in das primäre Beurteilungskriterium der Wirtschaftlichkeit einfliessen.»

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Die geneigte Leserschaft stellt fest, dass wir es hier nicht mit einem konventionellen Preiswettbewerb zu tun haben. Nicht das billigste Projekt gewinnt, sondern dasjenige mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis.

Ablauf der Gesamtleistungsausschreibung

Die Bauherrschaft lädt zehn Totalunternehmer für die Ausschreibung ein, wovon sechs an der Konkurrenz effektiv auch teilnehmen. Ein Angebot besteht aus einem kompletten Projekt, einer verbindlichen Totalunternehmerofferte und diversen weiteren Unterlagen. Der Werkpreis ist als Pauschalpreis anzugeben. Den Anbietern wird zugestanden, das Projekt nach einer ersten Zwischenbeurteilung durch die Bauherrschaft überarbeiten zu können. Sie erhalten für die Ausarbeitung ihrer Offerten keine Entschädigung.

Die (ausgesprochen sachverständige) Bauherrschaft überprüft und bereinigt die Angaben der Anbieter, beispielsweise die angenommenen Mieterträge. Auf diese Weise ist die nötige Objektivität in der Beurteilung gegeben.

Ergebnis

Gewinnerin der Gesamtleistungsausschreibung ist die Arbeitsgemeinschaft der Generalunternehmung Frutiger AG in Thun und des Planungsbüros Suter + Suter AG (später Burckhard + Partner AG). Ihr Projekt zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass fast alle Wohnungen als Maisonnette-Wohnungen konzipiert sind. Dies erlaubt eine sehr ökonomische Lösung für die Erschliessung. Eine ganze Reihe weiterer Massnahmen tragen zum attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis bei (kostengünstiger Ausbau, Verzicht auf eine Einstellhalle, kurze Bauzeit etc.). Das ausgeführte Bauwerk demonstriert, dass konsequente Sparbemühungen durchaus einhergehen können mit einer überzeugenden architektonischen Gestaltung.

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Eine Gesamtleistungsausschreibung: Wohnüberbauung Bostuden, Thun 

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Die Gesamtleistungsausschreibung entspricht dem Zeitgeist

Es ist kein Zufall, dass die Gesamtleistungsausschreibung in den letzten Jahren eine gewisse Bedeutung erlangt hat. Sie entspricht nämlich dem Zeitgeist, der in der Wirtschaft und speziell in der Industrie herrscht.

Grosse Leistungspakete

Der Zeitgeist manifestiert sich unter anderem an der Grösse der Leistungspakete, die beschafft werden. Eine industrielle Unternehmung will von ihren Lieferanten zunehmend Gesamtlösungen statt Einzelteile oder Komponenten. Das gilt auch dann, wenn sie baut. Als Bestellerin von Bauleistungen hat sie vielfach weder Zeit noch Interesse, sich um Lieferanten von Einzelleistungen zu kümmern, seien es Baumeister, Stahlbauer oder Gipser. Sie will eine Fabrik, ein Lager oder ein Verwaltungsgebäude als umfassende Problemlösung am Stück. Führung und Verantwortung sollen an einer Stelle konzentriert sein.

Dominanz des Einkaufs

Der Zeitgeist zeigt sich bei der Gesamtleistungsausschreibung aber auch beim konsequenten Ausnutzen der Marktkräfte beim Einkauf von Bauleistungen. Kostenbewusstes Einkaufen wird in der Wirtschaft immer wichtiger. In vielen Industriezweigen entscheidet sich beim Einkauf, ob überhaupt Geld verdient wird. José Ignacio Lopez hat in der Autoindustrie vor ein paar Jahren exemplarisch vorexerziert, wie man die Möglichkeiten des Marktes konsequent nutzen kann.

Harte Konkurrenz beim Einkauf schliesst keineswegs aus, nach der Auftragserteilung partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Das Verhältnis soll offen und von Vertrauen geprägt sein. Diese Grundhaltung kann zusätzlich gefördert werden durch eine offene Buchhaltung und eine wie auch immer gestaltete Aufteilung des (hoffentlich) erzielten Gewinns.

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14.2 Gesamtleistungsausschreibung: Varianten einer Grundidee

Die Gesamtleistungsausschreibung ist im Markt erst seit einigen Jahren bekannt. Es hat sich deshalb noch kein allgemein übliches, «genormtes» Vorgehen eingebürgert. Es wird mit verschiedenen Verfahren experimentiert. Das Gegenstück zu den SIA-Ordnungen 102 ff., die das Bauen mit einem Architekten während Jahrzehnten weitgehend standardisiert haben, muss sich für Gesamtleistungen im Markt erst noch etablieren. Vorstufe einer Standardisierung ist das Modell des «Totalunternehmer-Submissionswettbewerbes» des Verbandes der Schweizerischen Generalunternehmer (VSGU). Es ist Ende der achtziger Jahre entwickelt und 1990 publiziert worden. Zugeschnitten ist es vor allem auf Projekte der öffentlichen Hand.

Bei der Besprechung des VSGU-Modells beziehe ich mich auf folgende Quellen, die vom VSGU herausgegeben worden sind:

Richtlinie für die Durchführung von Totalunternehmer-Submissionswettbewerben; Ausgabe 1990 (zitiert: VSGU, Richtlinie)

Empfehlung für die Ausschreibung und Durchführung von Gesamtleistungswettbewerben im Bauwesen; 25. Juli 1996 (zitiert: VSGU, Empfehlungen)

Neben dem VSGU-Modell werden in der Praxis des Baualltags eine ganze Reihe von abgewandelten Versionen der Gesamtleistungsausschreibung angewendet. Die radikale Methode der Projektoptimierung aus dem vorangehenden Beispiel (siehe weiter oben: «Beispiel einer Gesamtleistungsausschreibung: Projektoptimierung in radikaler Form») ist eine dieser Möglichkeiten. Das dort beschriebene Verfahren ist aber meiner Ansicht nach auf professionelle, sachverständige Bauherrschaften zugeschnitten. Es ist Experten vorbehalten, eine Reihe von durchoptimierten Totalunternehmerangeboten allein aufgrund der Wirtschaftlichkeit zu beurteilen. Für Gelegenheitsbauherren ist ein anderes Verfahren der Gesamtleistungsausschreibung, das einfacher anzuwenden ist, eher geeignet: wir nennen es die Praktikermethode.

Im folgenden gehen wir kurz auf die wesentlichen Merkmale des VSGU-Modells und der Praktikermethode ein.

Das VSGU-Modell

Das VSGU-Modell besteht, wenn wir die Phase der Vorevaluation (Präqualifikation) weglassen, aus zwei Hauptphasen. Der Grundsatzentscheid über die auszuführende Lösung und somit die Wahl des Partners für die Realisierung fällt in der Regel in der ersten Phase. Diese entspricht etwa einem konventionellen Architektenwettbewerb, mit dem Unterschied allerdings, dass auch die Kosten in die Beurteilung einbezogen werden. Der Aufwand an Planungsarbeit für die Wettbewerbsteilnehmer ist erheblich. – Mit der Projektausarbeitung in der zweiten Phase soll gemäss VSGU idealerweise nur noch ein Teilnehmer betraut werden.

Die Praktikermethode

Bei der Praktikermethode werden die Schwerpunkte etwas anders gesetzt als beim VSGU-Modell. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass in einer ersten Phase relativ schnell und unkompliziert aus einem Feld von Kandidaten zwei gutgeeignete Totalunternehmer ausgewählt werden. Diese arbeiten in einer zweiten Phase in Konkurrenz zueinander ein detailliertes Projekt aus und geben die Kosten verbindlich an. Erst am Ende der zweiten Phase wird entschieden, welches Projekt ausgeführt wird. Der Hauptentscheid fällt somit in der zweiten Phase.

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Beurteilung der beiden Varianten

Die Grundidee beider Varianten der Gesamtleistungsausschreibung ist vergleichbar: die Bauherrschaft kauft komplette Bauwerke ein als Einheit von Planung und Ausführung mit der Gewissheit, dass die Kräfte des Marktes für einen akzeptablen Preis sorgen. Beim Vorgehen im Detail allerdings unterscheiden sie sich. Beim VSGU-Modell findet die eigentliche Ausmarchung in der ersten Phase statt, bei der Praktikermethode dagegen in der zweiten (siehe Tabelle).

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Vergleich von zwei Varianten der Gesamtleistungsausschreibung

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Das VSGU-Modell kann zwar generell angewendet werden, es ist aber vor allem für öffentliche Projekte konzipiert. Privaten Bauherren empfehle ich, die Anwendung der Praktikermethode zu prüfen. Sie ist speziell dann geeignet, wenn das Lösungskonzept (beispielsweise aufgrund einer vorgängigen Projektdefinition) bereits in den Grundzügen klar ist.

Fazit

Da sich dieses Buch in erster Linie an nichtprofessionelle Bauherren richtet, beschreibe ich schwergewichtig das Verfahren, das ich für sie am geeignetsten halte: die Praktikermethode.

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14.3A Das Modell der Generalunternehmer (VSGU-Modell)

Das Modell der Generalunternehmer besteht aus zwei Hauptphasen und einer Vorphase (Vorevaluation). Grundlage für die Gliederung der Phasen ist die SIA-Honorarordnung 102 (Architekten). Die Phase 1 (Konzeptwettbewerb) entspricht dem Leistungsumfang «Vorprojekt», die Phase 2 (Projektausarbeitung) dem «Bauprojekt».

Vorevaluation (Präqualifikation)

Da sich das VSGU-Modell primär an die öffentliche Hand richtet, wird die Frage der Präqualifikation ausführlich erörtert. Beispielsweise geht es darum, dass qualifizierte Bewerber nicht diskriminiert werden dürfen. Bei privaten Bauvorhaben ist dieses Thema naturgemäss viel weniger wichtig.

Gemäss der VSGU-Richtlinie wählt die Bauherrschaft vor dem Konzeptwettbewerb eine Gruppe von Kandidaten aus, die sie für die Aufgabe als besonders geeignet erachtet. Je nach Bauaufgabe sind es zwischen drei und etwa sechs Teilnehmer. Kriterien für die Auswahl sind vor allem die allgemeine Leistungsfähigkeit der Firma und spezifische Referenzen.

Zurzeit hat sich für den Ablauf der Präqualifikation noch kein einheitliches Schema herausgebildet. Die Bewerbungsdossiers sehen bei jeder Bauaufgabe etwas anders aus.

Phase 1 (Konzeptwettbewerb)

Grundlage für die Phase 1 ist ein Wettbewerbsprogramm. Meistens besteht es aus einem generellen Pflichtenheft, manchmal zusätzlich aus einem schematischen Vorprojekt (hervorgegangen beispielsweise aus einem vorgeschalteten Ideenwettbewerb). Die Teilnehmer erarbeiten mit diesen Grundlagen wie bei einem Architektenwettbewerb ein komplettes Vorprojekt. Etwas weiter als bei normalen Wettbewerben werden Statik und Haustechnik entwickelt. Der entscheidende Unterschied zum Architektenwettbewerb besteht darin, dass die gesamten Kosten des Investitionsvorhabens anzugeben sind. Wir treten später darauf ein, wie verbindlich diese Kosten sind. Damit der Bauherr weiss, was er für den Preis erhält, erstellt der Anbieter einen Baubeschrieb mit den vorgesehenen Verfahren und Materialien.

Die eingereichten Projekte samt Kostenangaben werden nun vom Auftraggeber beurteilt. In der Kriterienliste des VSGU sind Kosten und Wirtschaftlichkeit zuoberst aufgeführt, gefolgt unter anderem von Funktionalität und Ästhetik. Je nach Projekt wird unterschiedlich festgelegt, welches Gewicht den messbaren, finanziellen Aspekten im Vergleich zu den nicht messbaren, ästhetischen zukommt. Die Gewichtung soll den Wettbewerbsteilnehmern vor der Projektausarbeitung mitgeteilt werden.

Phase 2 (Projektausarbeitung)

Das VSGU-Modell sieht vor, dass im Normalfall der Gewinner des Konzeptwettbewerbes mit der Ausarbeitung des Projektes beauftragt wird. Allerdings können auch zwei Teilnehmer für die Phase 2 ausgewählt werden. Der VSGU bezeichnet diesen offenbar nicht sehr erwünschten Fall mit dem Wort «eventuell». Das Projekt wird also bevorzugt ohne Konkurrenz ausgearbeitet.

Am Schluss der Phase 2 liegt ein realisierungsreifes Projekt (meistens im Massstab 1:100) vor, das die Belange von Statik und Haustechnik berücksichtigt. Integrierender Bestandteil des Angebots sind wiederum die Kosten. Diese können als Kostendach angegeben werden, aus der Formulierung der VSGU muss man aber schliessen, dass die pauschale oder globale Verrechnung vorgezogen wird.

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Eine mögliche Schwachstelle des VSGU-Modells

Beim VSGU-Modell kann meines Erachtens problematisch sein, dass der Grundsatzentscheid zu früh gefällt wird, welches Projekt ausgeführt werden soll. Das bauliche Konzept ist im Stadium des Vorprojektes gelegentlich zuwenig ausgereift, um die Kosten zuverlässig genug ermitteln zu können. Weil viele entscheidende Details noch offen bleiben müssen, wird auf ein nicht unerhebliches Kostenoptimierungspotential verzichtet. Es kommt hinzu, dass Bauprojekte nach der Phase 1 (Konzeptwettbewerb) analog wie Entwürfe, die für gewöhnliche Architekturwettbewerbe ausgearbeitet werden, teilweise noch nutzungsmässige Mängel aufweisen. Es ist nicht unüblich, dass das Siegerprojekt von Wettbewerben nachträglich noch überarbeitet werden muss.

Die genannten Einschränkungen zur Angabe der Kosten in einem frühen Planungsstadium sind nicht bei allen Projekten gleich bedeutsam. Es gibt durchaus Bauaufgaben, etwa im Wohnungsbau, wo man die Kosten schon sehr früh im Griff hat. Bei vielen anderen jedoch dürfte dies nur bedingt der Fall sein. Wie reagiert nun ein Anbieter, wenn er die Kosten in einem zu frühen Zeitpunkt verbindlich angeben muss? Er hat zwei Möglichkeiten, sich abzusichern. Entweder rechnet er so viele Reserven in den Angebotsbetrag ein, dass er für alle Eventualitäten gewappnet ist. Diese Lösung des dicken Polsters kann nicht im Interesse der Bauherrschaft liegen. Oder er pokert darauf, die zu tief geschätzten Kosten nachträglich noch «aufbessern» zu können. Diese Lösung liegt erst recht nicht im Interesse des Bauherrn. Aber offenbar gehen die Modellentwickler des VSGU davon aus, dass dieser Fall eintreten kann. Denn im Reglement ist ausdrücklich vorgesehen, wie darauf zu reagieren sei: Wenn ein Totalunternehmer während der Projektausarbeitung seine Kostenaussage aus dem Konzeptwettbewerb nicht einhalte, «kann die vorgesehene Entschädigung entsprechend der Vorgabe im Wettbewerbsreglement gekürzt werden» (VSGU, Richtlinie, Seite 4).

Das ist ein schwacher Trost für die Bauherrschaft. Es kann ihr nämlich passieren, dass der in der Phase 1 (Konzeptwettbewerb) als einziger ausgewählte Anbieter seine ursprüngliche Kostenaussage später in der Phase der Projektausarbeitung signifikant erhöht. Nehmen wir an, der Offertbetrag steige von 10 Mio. Fr. auf 11 Mio. Fr. Zur Strafe riskiert der Anbieter gemäss Reglement lediglich einen Abzug am Honorar von angenommen 10 000 Fr. Was macht jetzt die Bauherrschaft?

Meiner Ansicht nach sprechen gute Gründe dagegen, die Kosten auf dem Vorprojektstand verbindlich angeben zu wollen. Das auszuführende Projekt wird daher mit Vorteil später ausgewählt, in der Phase 2. Die bisherigen Erfahrungen öffentlicher Bauherrschaften mit dem Gesamtleistungswettbewerb deuten im übrigen darauf hin, dass auch sie nicht gerne auf Konkurrenz in der Phase 2 (Projektausarbeitung) verzichten.

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14.3B Die Praktikermethode

Das Modell der Gesamtleistungsausschreibung, das der Autor in der Praxis vorzieht, ist etwas anders konzipiert als das VSGU-Modell. Es ist im Umfeld der international tätigen Industrie entstanden mit ihrem unerbittlichen Konkurrenzkampf. Für das öffentliche Beschaffungswesen, das sich beispielsweise dadurch auszeichnet, dass dem nicht berücksichtigten Anbieter eine Rekursmöglichkeit gegen Entscheide zusteht, ist es nicht prädestiniert. Es ist ein Modell für Bauherren, die sich als Unternehmer verstehen und auch als Unternehmer handeln: intuitiv, pragmatisch, ergebnisorientiert.

Die Grundidee der Praktikermethode besteht darin, den Entscheid über die auszuführende Lösung erst auf der Basis von (meist zwei) ausgereiften Projekten zu fällen. Anhand eines Beispiels möchte ich illustrieren, was man darunter verstehen kann. Das Beispiel handelt in Asien, und es geht um Eisenbahnen, aber das ist von untergeordneter Bedeutung. Das Grundprinzip der Konkurrenz ausgereifter Projekte gilt auch für Bauobjekte in unserem Kulturkreis.

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Das Grundprinzip der Konkurrenz von zwei ausgereiften Projekten

Anfang der neunziger Jahre beschliesst Südkorea, für eine wichtige Strecke eine Hochgeschwindigkeitseisenbahn zu bauen. Im Rahmen dieses Projektes sollen Züge vom Typ des TGV beschafft werden. In der engeren Wahl verbleiben zwei Anbieter: GEC-Alsthom aus Frankreich und Siemens aus Deutschland. 1992 beginnen die Verhandlungen mit diesen beiden Kandidaten. Die Koreaner ziehen alle Register der Verhandlungskunst, und die Anbieter legen alles in die Waagschale, über das sie verfügen. Die beiden Staatschefs Mitterrand und Kohl beehren Südkorea mit einem Besuch. Schwerpunkte der Verhandlungen sind unter anderem die Finanzierung sowie das Überlassen der gesamten Technologie. Natürlich spielt auch der Preis eine gewichtige Rolle. Die Franzosen beispielsweise müssen ihre ursprüngliche Offerte zunächst um 43% reduzieren, dann die «letzte» Offerte nochmals um 11%. Am 18. April 1994 schliesslich sind sie die Gewinner: für 2.1 Mrd. $ dürfen sie 46 Züge liefern.

(Quelle: Business Week, 28. November, 1994)


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Die Praktikermethode zur Gesamtleistungsausschreibung im Bauwesen basiert in den Grundzügen auf der Konkurrenz von zwei ausgereiften Projekten gemäss dem erwähnten Beispiel.

Phase 1 (Vorauswahl)

Da der Hauptentscheid erst in der zweiten Phase fällt (wenn die Projekte ausgereift sind), können die Teilnehmer in der ersten Phase mit einem einfachen, summarischen Verfahren ausgewählt werden. Die Lösungsskizze braucht nur grob zu sein, da auch die allgemeine Leistungsfähigkeit der Bewerberfirma in die Beurteilung einbezogen wird. In erster Linie sollen zwei grundsätzlich fähige Anbieter bestimmt werden. Es werden jene Kandidaten ausgewählt, welche die besten Voraussetzungen haben, die von der Bauherrschaft angestrebte Lösung auch tatsächlich erreichen zu können.

Die Vorauswahl gleicht eher einem Evaluationsverfahren von Architekten für einen Direktauftrag als einem Architektenwettbewerb. Lösungsskizzen und Richtpreise genügen für die Auswahl. Das heisst nun aber nicht, dass die Kostenangaben der Anbieter als Hirngespinste und Schnellschüsse anzusehen sind. Es ist die Hauptaufgabe der Auswahlgremien, die Güte dieser skizzenhaften Angaben zu beurteilen. Dazu dienen etwa Besichtigungen, Kostenanalysen von Vergleichsobjekten, Befragungen von ehemaligen Kunden und dergleichen. Erfahrene Anbieter, die immer wieder ähnliche Bauprojekte bearbeiten, haben bei der Kostenermittlung einen grossen Erfahrungsschatz.

Phase 2 (Projektausarbeitung)

Die zwei ausgewählten Kandidaten der Vorauswahl erarbeiten je ein detailliertes Projekt. Diese Phase muss also zwingend mit zwei Teilnehmern und somit im Konkurrenzverhältnis durchgeführt werden. Die lauernde Konkurrenz sorgt für den nötigen Antrieb, damit die Anbieter ihr Potential auch tatsächlich ausschöpfen.

Das Angebot umfasst in der Regel ein komplettes Bauprojekt mit allen nötigen Plänen, einen Beschrieb der vorgesehenen Leistungen sowie eine verbindliche Kostenangabe. Der Vergleich der Offerten ist in der Regel alles andere als eine triviale Sache. Es gilt, unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten zu beurteilen sowie zu überprüfen, ob die Angebote vollständig sind. Oft ist diese Bereinigung ziemlich aufwendig. Grundlage für den Entscheid ist primär das Projekt an und für sich unter besonderer Berücksichtigung der Kosten. Die Leistungsfähigkeit der Firmen, die man nun wesentlich besser kennt, fliesst aber auch in die Beurteilung ein. Die Wahl des auszuführenden Projekts erfolgt erst am Ende der Phase 2.

Das Beispiel aus Südkorea (siehe oben) zeigt, dass es nichts Praktischeres gibt als Markt und Wettbewerb. Das ist die Art des Einkaufens, die ein Investor gerne hat.

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Wann ist die Praktikermethode des Autors geeignet?

Beim Verfahren, das in diesem Buch beschrieben wird, erfolgt die Auswahl der Totalunternehmer in der Phase 1 relativ summarisch. Dies bedingt, dass die Bauherrschaft bereits recht genau weiss, was sie bauen will. Es braucht also eine vorausgehende Projektdefinition, die das Bauprojekt in den Grundzügen definiert.

Bei weniger klaren Bauaufgaben ist es dagegen angezeigt, eher das VSGU-Modell der Generalunternehmer zu wählen, das dem traditionellen Architektenwettbewerb verwandt ist. In der nachfolgenden Tabelle sind für beide Verfahren einige Beispiele aufgeführt.

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Eignung der zwei Varianten der Gesamtleistungsausschreibung
Anwendungsbeispiele


A. Anwendung der Praktikermethode möglich
Voraussetzung: Bauaufgabe klar definiert (Projektdefinition durchgeführt)

Beispiele:

  • Neubau einer Fabrikhalle von 120 m Länge und 40 m Breite
  • Neubau eines Einfamilienhauses mit 120 m2 Nettowohnfläche
  • Neubau von 10 Reihenhäusern mit einer Grundfläche von je 5 x 10 m
  • Neubau von drei Wohnblocks mit definierten Wohnungen (inkl. Preise)
  • Sanierung von Dach und Fassade eines Wohnblocks
  • Anbau von 20 m Länge an eine bestehende viergeschossige Fabrik
  • Neubau eines fünfgeschossigen Gewerbehauses

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B. Anwendung des VSGU-Modells eher angezeigt
Merkmal der Bauaufgaben: Lösungsspektrum sehr breit

Beispiele:

  • künstlerisch hochstehende Bauten (Museen, Kirchen etc.)
  • Ueberbauungen von ganzen Arealen mit unterschiedlichen Nutzungen
  • Bauaufgaben mit vielen ganz unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten

Hinweis: bei öffentlichen Bauvorhaben ist das VSGU-Verfahren der Normalfall


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Ein Beispiel für die Praktikermethode (Fabrikneubau)

Beim Beispiel handelt es sich um einen Fabrikneubau, bei dem die Firma des Autors mit der bauherrenseitigen Projektleitung betraut worden ist. In einer deutschen Wirtschaftszeitung ist darüber ein Erfahrungsbericht erschienen (Handelsblatt, Düsseldorf und Frankfurt; Nr. 143/37 vom 27. Juli 1994).

Ausgangslage

Bauherr ist ein international tätiges Unternehmen auf dem Gebiet der Hochspannungstechnik, das im Elsass ein Zweigwerk unterhält. Hier soll auf einer Freifläche des geräumigen Firmengeländes, also auf der «grünen Wiese», ein Fabrikneubau errichtet werden. Die eigenen Planungsfachleute des Auftraggebers wollen sich auf die anspruchsvolle Betriebsplanung konzentrieren und mit dem baulichen Teil des Projektes sowenig wie möglich zu tun haben. Um die Risiken klein zu halten, will man das gesamte bauliche Leistungspaket aus einer Hand bestellen. Da bei der Beschaffung der Markt trotzdem intensiv spielen soll, drängt sich das Verfahren der Gesamtleistungsausschreibung geradezu auf.

Die Produktion in der neuen Fabrik ist sehr materialflussintensiv. Die hergestellten Produkte sind gross und schwer. Der Materialfluss prägt die bauliche Struktur in hohem Masse. Das Gebäude ist somit keineswegs eine nutzungsneutrale Mehrzweckhalle, sondern eine Massanfertigung, die genau auf die betrieblichen Abläufe abgestimmt ist. Aus diesem Grund plant man die betrieblichen Belange vor der Ausschreibung des baulichen Teils intensiv und gibt den Detaillayout als Randbedingung für die Bauplanung vor. Die massgeblichen geometrischen Abmessungen sind dadurch bestimmt (Gebäudelänge, Stützenstellung, lichte Raumhöhen, Kranhakenhöhen etc.). Die Freiheitsgrade der baulichen Lösungen beschränken sich auf Aspekte wie Statik, Gebäudehülle, Konzepte der Haustechnik, Bauprozess und dergleichen.

Pflichtenheft

Das Pflichtenheft für die Gesamtleistungsausschreibung wird von der Projektleitung in enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsplanungsteam erstellt. Es besteht aus einem Textdokument, Plänen (detaillierter Layoutplan, Schemaschnitt und Situationsplan) und einigen Beilagen (z. B. geologisches Gutachten). Durch die Beschränkung auf das wirklich Nötige kommt das keinesfalls unvollständige Pflichtenheft auf einen Textumfang von weniger als 15 Seiten.

Phase 1 (Vorauswahl)

Bei der Vorauswahl geht die Bauherrschaft sehr pragmatisch vor. Sie verzichtet auf eine (öffentlich ausgeschriebene) Prä-qualifikation und nimmt von sich aus mit einigen Firmen Kontakt auf, die ihr grundsätzlich geeignet erscheinen. In erster Linie geht es ihr darum, diejenigen herauszufinden, die vertraut sind mit vergleichbaren industriellen Bauaufgaben und erwiesenermassen kostengünstig bauen können. Die Kandidaten werden ersucht, für das aus der Projektdefinition bereits recht konkrete Bauvorhaben einen Richtpreis anzugeben. Die Bauherrschaft bespricht diesen mit den Anbietern gründlich. Zusätzlich führt sie Besichtigungen von ausgeführten Projekten durch und unterhält sich mit ehemaligen Kunden. Aufgrund dieser Grundlagen wählt sie zwei Kandidaten für die zweite Phase aus.

Phase 2 (Projektausarbeitung)

Während der eigentlichen Projektausarbeitung betreut die Bauherrschaft beide Projektteams intensiv. Resultat dieser zweiten Phase sind zwei detailliert ausgearbeitete Bauprojekte mit allen Angaben, die die Bauherrschaft für ihren Entscheid benötigt. Zentrales Entscheidungskriterium ist der Preis.

Nach intensiven Verhandlungen wird mit dem Gewinner der Ausschreibung ein Vertrag abgeschlossen. Das Vertragswerk beinhaltet in einem einzigen Dokument die schlüsselfertige Ausführung des Gebäudes einschliesslich der vereinbarten Betriebseinrichtungen (Krane etc.). Auch alle Planungsleistungen sind darin enthalten, mit Ausnahme der Entschädigung für die Projektausarbeitung (Phase 2). Für die Preisbestimmung wird das Verfahren der offenen Abrechnung mit Kostendach gewählt. Die Bauherrschaft profitiert somit von einer Unterschreitung des Kostendaches.

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Beispiel einer Gesamtleistungsausschreibung: Fabrikneubau im Elsass

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