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Kommentar zur digitalen Neuausgabe 2019 von «Günstiger bauen»
(20 Jahre nach der erstmaligen Publikation)

siehe Ausführungen bei Kapitel 14

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Inhalt Kapitel 16:

16.1 Anbieter von baulichen Gesamtlösungen
16.2 Kriterien zur Vorauswahl von Bewerbern
16.3 Das Auswahlgremium

Bei der Variante der Gesamtleistungsausschreibung, die in diesem Buch bevorzugt behandelt wird («Praktikermethode»), verstehen wir unter der Vorauswahl von Totalunternehmern die Selektion von gutqualifizierten Bewerbern für die spätere Projektausarbeitung. Es geht also darum, aus dem Feld möglicher Kandidaten mit einfachen Mitteln zwei (eventuell drei) Totalunternehmer auszuwählen. In diesem Kapitel zeigen wir zuerst auf, wie vielfältig das Spektrum der Anbieter ist. Dann legen wir dar, nach welchen Kriterien man die Vorauswahl treffen kann.

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16.1 Anbieter von baulichen Gesamtlösungen

Das Feld der Anbieter von baulichen Gesamtleistungen ist vielfältiger, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. So wie es echte Generalunternehmer gibt, die sich nicht als solche bezeichnen, gibt es auch echte Totalunternehmer, die unter einem anderen Namen am Markt auftreten. Wir wollen in der folgenden Übersicht alle jene zu den Totalunternehmern zählen, die komplette Gebäude einschliesslich der Planung aus einer Hand anbieten und dabei Garantien abgeben, die den üblichen Generalunternehmer-Werkverträgen entsprechen.

Im breiten Feld der Anbieter von Totalunternehmerleistungen lassen sich mindestens vier Gruppen lokalisieren, auf die wir im folgenden näher eingehen. Die genannten Firmennamen stellen in einem Markt, der sich zurzeit schnell ändert, eine Momentaufnahme dar.

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A. Integrale Bauunternehmungen

Als erste Gruppierung von Totalunternehmern erwähnen wir die sogenannten integralen Bauunternehmungen. Sie haben sich aus dem Bauhauptgewerbe heraus entwickelt. Sie streichen heraus, dass nur die Rückkopplung des Wissens der gruppeneigenen Ausführungsfirmen (Baumeisterarbeiten, Stahlbau etc.) es ermögliche, ganzheitlich planen zu können. Nur wer selber mauert, betoniert oder schweisst, so sagen sie, findet bereits beim Planen die beste Lösung und somit das Gesamtoptimum.

Beispiel «Zschokke»

Die Firma Zschokke mit Stammhaus Genf gilt als Pionierin des integralen Bauens. Zu den traditionellen Tätigkeiten der Bauausführung (Bauhauptgewerbe) hat sie sich in neuerer Zeit einen ganzen Kranz von Planungs- und Dienstleistungsfirmen zugelegt. Zu diesen Neuerwerbungen gehört unter vielen anderen Brandenberger + Ruosch, eine traditionsreiche Firma für Projektmanagement im Bauwesen. Zschokke wächst heute bei den Dienstleistungen und im Generalunternehmerbereich, dafür wird der Anteil der Bauleistungen reduziert. Das Unternehmen betreibt aktiv Public Relations und hat eine starke Medienpräsenz. In einigen Kreisen geniesst es eine Vordenkerrolle, was die Zukunft des Bauens betrifft.

Beispiel «Preiswerk (neu Batigroup)»

Die Firma Preiswerk mit Wurzeln in Basel (vor einiger Zeit in der Batigroup-Holding aufgegangen) ist «integral» gewesen, bevor dieser Begriff modisch geworden ist. Sie ist vor der Fusion vermutlich der Inbegriff der integralen Bauunternehmung schlechthin gewesen. Das Motto der Firma hat gelautet: «Alles, was Planen und Bauen umfasst». Daran hat sie sich auch gehalten: Rohbau, Installationen, Anlagebau, Hochbau, Tiefbau, Planung, Generalunternehmung, Promotion und so weiter sind ihre Aktivitäten gewesen. Natürlich hat auch das Totalunternehmergeschäft dazugehört. Das Leistungsangebot ist eindrücklich gewesen, sowohl in der Breite wie in der Tiefe.

Beispiel «Frutiger»

Frutiger mit Stammhaus Thun ist eine traditionsreiche grosse Bauunternehmung (gegründet 1869), die beispielsweise massgeblich an den bedeutenden Staudammprojekten im Grimselgebiet beteiligt gewesen ist. Erst in neuerer Zeit hat sie ihr Leistungsspektrum mit einer mittelgrossen Generalunternehmung ergänzt. Wie die meisten Generalunternehmer im VSGU-Verband betreibt Frutiger keine Architektentätigkeit. Wenn die Firma als Totalunternehmung auftritt, beschafft sie die nötigen Bauplanungsleistungen auf dem Markt. Dies ermöglicht Frutiger, im konkreten Fall die bestgeeigneten Planer projektbezogen auszuwählen.

Beispiel «Geilinger»

Diese Firma ist nur noch aus historischen Gründen von Interesse, denn sie ist 1996 bankrott gegangen. Im Unterschied zu den meisten anderen integralen Bauunternehmungen hat sich Geilinger mit Stammsitz Winterthur nicht aus dem Baumeistergewerbe heraus entwickelt, sondern aus dem Stahlbau. Zu meinen Studienzeiten ist der Name vor allem bekannt gewesen für die Geilinger-Pilze, eine besondere Art von Stahlstützen. In den achtziger Jahren ist das Engineering stark forciert worden, beispielsweise auf dem Gebiet der Logistik. Die Firma hat eine starke Stellung auf dem Marktsegment für Lagergebäude, Verteilzentren und dergleichen innegehabt.

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B. Traditionelle Generalunternehmer

Vermutlich alle traditionellen Generalunternehmer sind heute auch als Totalunternehmer tätig. Im Unterschied zu den integralen Bauunternehmungen ist der Umfang der selber physisch ausgeführten Bauarbeiten gering oder gar null. Das Ausführungswissen, das als besondere Stärke genannt wird, ist also ein reines Managementwissen. Aus dem grossen Feld dieser grossen Gruppe von Marktakteuren greifen wir zwei typische Vertreter heraus:

Beispiel «Karl Steiner»

Für viele Marktbeobachter ist Karl Steiner der Inbegriff des Generalunternehmers. 1915 in Zürich als Schreinerei gegründet, ist es heute eine weltumspannende Gruppe. Praktisch überall auf dem Globus ist man aktiv, als Generalunternehmer oder Projektmanager. Unter anderem besteht eine Minderheitsbeteiligung am grössten nordamerikanischen Generalunternehmer, der Turner Corporation. In der Schweiz ist neben dem traditionellen GU-Geschäft die Planungstätigkeit ausgebaut worden, wodurch Steiner zum Totalunternehmer mit hauseigener Planung geworden ist. In relativ kleinem Rahmen wird auch eigene Bauausführung betrieben (Fassadenbau, Innenausbau etc.).

Beispiel «Göhner»

Göhner ist wie Steiner ein Wahrzeichen unter den Generalunternehmern. In der Grossregion Zürich gibt es eine ganze Reihe von Wohn-überbauungen, die unter der Bezeichnung «Göhner-Siedlung» bekannt sind. Nach der Fusion mit Merkur in den neunziger Jahren ist der Firmenname in Göhner-Merkur umgewandelt worden.

Göhner-Merkur hat einen anderen Weg gewählt als Steiner und nicht in nennenswertem Umfang eigene Planungskapazitäten aufgebaut. Hinderungsgrund für eine Totalunternehmertätigkeit ist das natürlich nicht, denn die Planung kann auch von Dritten eingekauft werden. Meines Wissens verfügt Göhner-Merkur auch kaum über wesentliche eigene baugewerbliche Leistungen. Allerdings bestehen verwandtschaftliche Beziehungen zu Schwesterfirmen im Elektrowatt-Konzern (Cerberus für Sicherheitstechnik, Staefa Control Systems SCS für Gebäudeleittechnik etc.).

Göhner-Merkur kommt vermutlich dem Begriff der «virtuellen» Firma ziemlich nahe. Darunter ist ein Unternehmen zu verstehen, das nur die absoluten Kerntätigkeiten einer Marktleistung selber erbringt und den grossen Rest extern einkauft. Bei einer Totalunternehmung ist die Kerntätigkeit die Projektleitung und die Risikoübernahme, also die traditionelle Generalunternehmertätigkeit. Die ganze Planung und die physische Bauausführung stammen von Unterlieferanten. – Als ausgesprochen schlanke Firma ist Göhner-Merkur somit das Gegenteil von einer Baugruppe wie etwa Preiswerk (heute Batigroup), welche sehr viel selber macht oder, wie Fachleute sagen würden, eine grosse Fertigungstiefe hat.

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C. Traditionelle Planungsfirmen

Unter den traditionellen Planungsfirmen (Architekturbüros, Generalplaner, Ingenieurbüros) gibt es diverse, die Bauwerke nicht nur planen, sondern bei Bedarf auch im Werkvertrag realisieren. Diese sogenannten Generalübernehmer sind eine weitere Untergruppe der Totalunternehmer. Sie beginnen die Zusammenarbeit mit einem Kunden oft mit einem gewöhnlichen Planungsauftrag. Das Ziel ist, während der Planungsphase beim Auftraggeber so viel Vertrauen aufzubauen, dass anschliessend ohne Konkurrenz der Generalunternehmerauftrag für die Bauausführung erteilt wird. Die teilweise diversifizierten Beratungsdienstleistungen dienen somit als Türöffneraufträge für das lukrative Ausführungsgeschäft. Im Unterschied zu den integralen Bauunternehmungen streichen die Generalübernehmer hervor, dass nur die absolute Unabhängigkeit von Baufirmen und Lieferanten aller Art die Basis für das Gesamtoptimum sei.

Eine gewisse Bedeutung im Markt hat unter diesen Akteuren vor allem das ursprüngliche Architekturbüro Suter + Suter mit Wurzeln in Basel erlangt. Als bekannteste Vertreterin dieser Anbietergruppe ist die Firma allerdings 1995 in Nachlassstundung gegangen. Weil sie zeitweise eine der grössten Planungsfirmen in ganz Europa gewesen ist, lohnt sich ein kurzer historischer Rückblick trotzdem.

Suter + Suter ist bis in die achtziger Jahre hinein der Inbegriff des Generalplaners gewesen. Sehr viele Disziplinen des Planens sind mit eigenen Ressourcen abgedeckt worden. Zum Kerngebiet Architektur sind zunächst Bauingenieurwesen und Haustechnik hinzugekommen. Später ist man noch weitergegangen und hat für diverse Branchen auch branchenspezifische, bauferne Beratungsleistungen aufgebaut: Industrieplanung, Bankenberatung oder Beratung für das Gesundheitswesen.

Die Expansion in die Generalunternehmertätigkeit ist eine Reaktion auf die ständig härter werdende Konkurrenz der Generalunternehmer gewesen. Diese haben immer mehr interessante Projekte weggeschnappt, vielfach gleich mit der gesamten Planung. Suter + Suter hat deshalb den Spiess umgedreht und selber Ausführungsleistungen im Werkvertrag angeboten. Allerdings hat man zuerst nicht offen davon gesprochen, ein Generalunternehmer zu sein. Das eigene Produkt, der sogenannte Garantievertrag, ist als anders (und besser) dargestellt worden. Es ist aber praktisch das gleiche gewesen, was Generalunternehmer auch geboten haben: ein Generalunternehmer-Werkvertrag mit Kostendach und offener Abrechnung.

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D. Spezialisierte Totalunternehmer

In dieser Untergruppe schliesslich befinden sich Totalunternehmer, die nur ganz spezielle Märkte bearbeiten. Auf diesen haben sie denn auch ein sehr breites Know-how. Einige Spezialisten bearbeiten beispielsweise nur Logistikbauten wie Hochregallager und dergleichen.

Zu den spezialisierten Totalunternehmern mit einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung im Markt gehören auch die Typenhausanbieter. Obwohl diese meistens reine Totalunternehmer sind, bezeichnen sie sich oft nicht so. Die Standardisierung ihrer Produkte kann sehr weit gehen, teilweise sind die Häuser sogar vorfabriziert. Ein Kauf ab Katalog ist möglich, und die Preise können einer Preisliste entnommen werden.

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16.2 Kriterien zur Vorauswahl von Bewerbern

Die Vorauswahl von Bewerbern für die spätere Projektausarbeitung kann meines Erachtens mit relativ wenig Aufwand durchgeführt werden. Bei der Vorauswahl werden die vorgelegten groben Projektvorschläge samt Preisangaben sowie die allgemeine Leistungsfähigkeit der Bewerberfirma berücksichtigt. Es genügt, wenn der Projektvorschlag skizzenartig vorliegt. Die Kosten sind als Richtpreis anzugeben. Im folgenden wollen wir die Kriterien zur Vorauswahl etwas näher anschauen.

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Kriterium 1: Qualität des Lösungsvorschlags

Dieses Kriterium ist bei den üblichen Architektenwettbewerben das weitaus wichtigste. Bei der Vorauswahl der Totalunternehmer allerdings ist es nur ein Gesichtspunkt unter anderen.

Die Gewichtung des Kriteriums hängt ab von der Aufgabenstellung. Bei einer Bauaufgabe, bei der die bauliche Form durch das Pflichtenheft schon weitgehend vordefiniert ist, sind die eingereichten Projekte hinsichtlich der architektonischen Gestaltung zwangsläufig ziemlich ähnlich. Hier spielt das Kriterium der architektonischen Qualität für die Vorauswahl keine grosse Rolle. Dies ist beispielsweise bei einer Fabrik der Fall, wo das Volumen des Baukörpers durch einen vorgegebenen Layout unter Umständen bereits bestimmt ist. Der konzeptionelle Spielraum der Bauplaner beschränkt sich hier auf nicht unbedingt erstrangige Aspekte wie die Gestaltung der Fassade oder die Konzeption des Tragsystems.

Etwas anders ist es beispielsweise im Wohnungsbau. Hier können sich die Lösungen viel stärker unterscheiden. Das Kriterium der Qualität des Lösungsvorschlags hat daher ein grösseres Gewicht, selbst dann, wenn die Konzeptvorschläge erst in Skizzenform vorliegen. Das Auswahlgremium muss die Nutzbarkeit der Wohnungen und die formale Gestaltung, ähnlich wie bei konventionellen Architektenwettbewerben, in geeigneter Form bewerten. Professionelle Bauherren gehen im Wohnungsbau so weit, dass sie die Qualitäten eines Projektes direkt in (Miet-)Erträge umrechnen (siehe Beispiel in Abschnitt 14.1 «Der neue Weg: Die Gesamtleistungsausschreibung»; Absatz «Projektoptimierung in radikaler Form»).

Die Lösungsvorschläge der Ausschreibungsteilnehmer müssen noch keineswegs ausgereift sein. Es kommt nicht darauf an, dass die Projekte in allen Einzelheiten und mit aufwendigen Darstellungstechniken ausgearbeitet sind. Es geht vielmehr darum, mit einer gewissen Verbindlichkeit die Grundidee aufzuzeigen, auch wenn sie erst skizzenartig vorliegt. Diese Idee kann durchaus noch entwicklungsfähig sein, denn die eigentliche Projektausarbeitung steht ja erst bevor.

Das Beurteilungsgremium muss abschätzen, wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, dass aus einer überzeugenden Skizze später ein gelungenes Projekt wird. Normalerweise ist eine derartige Prognose relativ zuverlässig. Wenn ein Ausschreibungsteilnehmer immer wieder hochwertige Ergebnisse erreicht, ist ein Ausrutscher in der Qualität eher unwahrscheinlich. Auch das Umgekehrte gilt: Referenzprojekte mit zweifelhafter Qualität mahnen zu höchster Vorsicht. Das Beurteilungsgremium kommt daher nicht darum herum, sich anhand von ausgeführten Projekten oder ähnlichen Informationsquellen ein Bild von der Leistungsfähigkeit der Bewerberfirmen zu machen.

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Kriterium 2: Richtpreis

Der Preis ist bei der Vorauswahl zweifellos ein wichtiges, aber keinesfalls das einzige Kriterium. Gemäss meinen Erfahrungen werden nicht automatisch die beiden Projekte mit den tiefsten Kostenprognosen für die Weiterbearbeitung ausgewählt.

Die Bezeichnung «Richtpreis» wird mit Absicht verwendet, weil der Anbieter (im Unterschied etwa zum Begriff «Kostendach») für die Angabe nicht juristisch belangt werden soll. Es wird aber ausdrücklich erwartet, dass die Preisangabe der Wirklichkeit möglichst nahe kommt. Es liegt an der Bauherrschaft, durch zusätzliche Abklärungen zu überprüfen, ob die Angabe seriös und plausibel ist. Günstige Angebote sollen das Resultat kostenmässig optimierter Projekte sein. Köder-Richtofferten, die absichtlich und unbegründet tief liegen, sind zu enttarnen. Sie kommen nicht in die engere Wahl.

Genügen Richtpreise tatsächlich? Meine Erfahrung zeigt, dass ein kompetentes Auswahlgremium durchaus in der Lage ist, die Plausibilität von Richtpreisangeboten zu beurteilen. Dazu dienen etwa Quervergleiche mit Preisangaben von Konkurrenten, vor allem aber die Güte des Kostenermittlungssystems des Anbieters. Aufschlussreich sind daher beispielsweise Kostenanalysen von ausgeführten Projekten und insbesondere vertiefte Gespräche mit der Person, die federführend für die Kostenermittlung ist. Man merkt schnell, was ein echter Profi ist. Von einer fähigen Bewerberfirma, die ihre Qualitäten im Bereich der Kosten immer wieder beweist, ist mit einiger Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft ein hochstehendes Resultat zu erwarten.

Eine gute Totalunternehmung zeichnet sich dadurch aus, dass sie in einem frühen Projektstand mit geringem Aufwand eine zuverlässige Kostenschätzung abgeben kann, falls das Pflichtenheft detailliert genug ist. Wenn eine Totalunternehmung das nicht schafft, ist sie bei der spezifischen Bauaufgabe vermutlich zuwenig erfahren und darum für eine Gesamtleistungsausschreibung nur bedingt geeignet.

Die Genauigkeit der Kostenschätzung kann je nach Art des Projektes sehr unterschiedlich sein. Sehr hoch ist die Präzision vielfach bei Bauprojekten wie Einfamilienhäusern oder standardisierten Reihenhäusern. Ein spezialisierter Anbieter kann die Preise praktisch ab Preisliste angeben. Er braucht kaum mehr als einen Situationsplan, um die Anlagekosten mit einer Toleranz von wenigen Prozenten abzuschätzen.

Bei den meisten Projekten ist die Genauigkeit allerdings bescheidener. Unter Berücksichtigung des geringen Planungsaufwandes sind sie aber vielfach doch erstaunlich präzise. Ich erinnere mich an einen Fabrikneubau, bei dem die Preisangaben zum Zeitpunkt der Vorauswahl nicht mehr als +/- 10% vom späteren Abrechnungsbetrag abgewichen haben. Nach der SIA-Honorarordnung 102, die das konventionelle Planungsvorgehen regelt, wird diese Genauigkeit üblicherweise erst beim Kostenvoranschlag erreicht (siehe Abschnitt 9.1 «Vom Vorprojekt zur Baueingabe»; Absatz «Die Projektphase»). Der Kostenvoranschlag basiert aber auf einem weitgehend ausführungsreifen Projekt, der Richtpreis dagegen auf einer Projektskizze.

Es ist erwünscht, dass der Anbieter bei der Vorauswahl als erster Stufe der Gesamtleistungsausschreibung nicht nur eine einzige Zahl angibt, sondern die Kostenschätzung nach einer groben Gliederung aufschlüsselt (Rohbau, Haustechnik, Ausbau, Umgebung etc.). Diese detaillierteren Angaben sind nützlich, um die Richtofferten beurteilen und allenfalls modifizieren zu können.

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Kriterium 3: Erfahrung und Referenzen

Bezüglich der Erfahrung gilt bei Totalunternehmern das gleiche, was wir bereits bei der Auswahl eines Architekturbüros festgehalten haben: Die Fähigkeit zum kostenbewussten Bauen steigt mit zunehmender Erfahrung an.

Eine Totalunternehmung mit viel einschlägiger Erfahrung ist besser in der Lage, kostengünstig zu bauen, als eine Allroundfirma. Sie kennt die Tricks und Kniffe. Sie hat viele der Fehler schon einmal gemacht (und daraus gelernt), von denen Uneingeweihte nicht einmal wissen, dass man sie überhaupt machen kann. Wer beispielsweise kaum Erfahrung im Industriebau hat, ist bei einer Gesamtleistungsausschreibung klar im Nachteil. Was für einen Spezialisten das tägliche Brot ist, wird für einen Neuling zur Pionieraufgabe. Wenn der Profi Kostendaten nur aus einer Datenbank abrufen kann, rechnet der Amateur wochenlang, bis er auf dem gleichen Stand ist.

Man kommt aber nicht darum herum, auch dies ist keine neue Feststellung, die Referenzen zu überprüfen. Ein Referenzprojekt, bei dem der Auftragnehmer am Schluss mit dem Bauherrn nur noch vor Gericht verkehrt, ist keine gute Referenz.

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Kriterium 4: Allgemeine Leistungsfähigkeit der Bewerberfirma

Mit diesem Kriterium wird beurteilt, welchen Eindruck die Bewerberfirma im Verlauf der Kontakte hinterlässt. Vor allem geht es um die Frage, ob die Arbeitskultur, in die man Einblick erhält, zu einem guten Ergebnis führen dürfte. Unter anderem auf folgende Aspekte lohnt es sich zu achten:

Projektteam

Wird die Gesamtleitung durch eine kompetente Persönlichkeit wahrgenommen? Werden die Fachingenieure echt geführt? Ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Gesamtoptimum erreicht wird? Geht die Anbieterfirma auf die Anliegen der Bauherrschaft ein? Ist der Bewerber in der Lage, in kurzer Frist ein brauchbares Resultat vorzulegen? Arbeitet das Projektteam regelmässig in gleicher oder ähnlicher Zusammensetzung? Oder ist es eine Ad-hoc-Organisation? Müssen Positionen in der Projektorganisation erst noch bestimmt werden? Ist als örtlicher Bauleiter ein erfahrener Fuchs vorgesehen?

Kostenwesen

Wie leistungsfähig ist das System von Kostenplanung und Kostenüberwachung? Erhält die Bauherrschaft genügend Einblick, oder werden Kostenkennwerte wie Staatsgeheimnisse behandelt? Wie kompetent ist die Person, die federführend ist für die Kostenplanung? Ist der Anbieter an kostengünstigen Lösungen echt interessiert? Besteht für die spätere Bauausführung die Bereitschaft zur offenen Abrechnung (mit Kostendach)?

Profil der Firma

Ist der Anbieter für die Grösse der vorgesehenen Bauaufgabe leistungsfähig genug? Hat er Erfahrungen als Totalunternehmer? Oder ist er normalerweise nur als Planer oder nur als Generalunternehmer tätig?

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16.3 Das Auswahlgremium

Wie soll bei der Gesamtleistungsausschreibung das Auswahlgremium zusammengesetzt sein? Zuerst betrachten wir das Praktikerverfahren, das in diesem Buch beschrieben wird. Anschliessend gehen wir auf das VSGU-Modell ein.

Beim Praktikerverfahren

Beim Praktikerverfahren ist bei der Zusammensetzung des Entscheidungsgremiums zu berücksichtigen, dass nur ein Teil der Entscheidungsgrundlagen in schriftlicher Form vorliegt. Es handelt sich dabei um Pläne, Tabellen, Beschriebe und dergleichen, die von den Totalunternehmern abgegeben werden. Genauso wichtig für die Beurteilung der Bewerber sind aber die Eindrücke aus zahlreichen Gesprächen und Besichtigungen. Diese schriftlichen und mündlichen Informationen zusammen ergeben ein komplexes Mosaik, das in der Gesamtheit für die Vorauswahl massgebend ist.

Das Auswahlgremium soll daher klein sein. Alle Gespräche und Besichtigungen sollen vom gleichen Team gemacht werden. Dadurch ist gewährleistet, dass bei der Beurteilung überall der gleiche Massstab angewendet wird. Das Team besteht im Minimum aus zwei Personen, einem Repräsentanten der Bauherrschaft sowie einem Baufachmann. Der Verzicht auf eine Jury aus Architekten scheint mir vertretbar zu sein. Meiner Ansicht nach unterscheidet sich nämlich die Vorauswahl von Totalunternehmern nicht wesentlich von der Evaluation einer Werbeagentur. Bei Werbern sind es auch Nichtfachleute der Werbebranche (Marketingleiter, Geschäftsleiter etc.), die die Selektion vornehmen.

Der Baufachmann im Auswahlgremium ist mit Vorteil ein externer Planungsgeneralist mit viel Erfahrung im Projektmanagement. Im Idealfall erstellt er zuerst das Pflichtenheft. Er schlägt dann aufgrund seiner Kenntnis des Baumarktes geeignete Kandidaten für die erste Phase (= Vorauswahl) vor. Anschliessend unterstützt er die Bauherrschaft während des ganzen Auswahlverfahrens (Plausibilitätsüberprüfung der Kostenschätzungen, Stellungnahme zu den skizzenartigen Lösungsvorschlägen etc.).

Beim VSGU-Modell

Beim VSGU-Modell findet die eigentliche Auswahl (wenn man von der Präqualifikation absieht) nach der Konzeptphase statt. Das Auswahlverfahren entspricht im wesentlichen einem Architektenwettbewerb, wobei aber zusätzlich die Kosten in die Beurteilung einfliessen. Gemäss Ansicht des VSGU ist eine Wettbewerbsjury einzusetzen, der auch externe Fachleute angehören sollen. Es wird ferner empfohlen, einen Verbandsvertreter des VSGU beizuziehen.

Bei öffentlichen Bauaufgaben wird ein auf diese Weise zusammengesetztes Gremium der Normalfall sein. Auch bei privaten Bauvorhaben dürfte gelegentlich diese Lösung der traditionellen Wettbewerbsjury gewählt werden. Ein Fragezeichen setze ich aber hinter die Empfehlung, einen Verbandsvertreter des VSGU beizuziehen. Man muss sich vorstellen, dass an der Gesamtleistungsausschreibung auch Kandidaten teilnehmen können, die nicht im VSGU sind. Denkbar ist auch, dass Teilnehmer aus dem Ausland eingeladen werden, wo ganz andere Gebräuche herrschen (unter anderem hinsichtlich Honorierung). Aus diesen Gründen leuchtet mir nicht recht ein, wieso eine private Bauherrschaft einen Verbandsvertreter des VSGU in ihr Auswahlgremium berufen sollte.

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