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Kommentar zur digitalen Neuausgabe 2019 von «Günstiger bauen»
(20 Jahre nach der erstmaligen Publikation)
siehe Ausführungen bei Kapitel 14
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Inhalt Kapitel 18:
18.1 Von den Aufgaben der Bauherrschaft
18.2 Anpassungen des Werkpreises
18.3 Unsicherheiten der Kostenprognose
18.4 Schlussabrechnung
Das Gesamtleistungsmodell ist für die Bauherrschaft recht komfortabel, wenn der Totalunternehmer-Werkvertrag einmal abgeschlossen ist. Sie kommt aber nicht darum herum, sich während der Bauausführung um eine ganze Reihe von Fragen zu kümmern. In diesem Kapitel geben wir zunächst einen Überblick über ihre Aufgaben. Anschliessend gehen wir auf das wohl wichtigste Thema ein, auf die Projektänderungen. Wir fragen uns, wann und in welchem Umfang Projektänderungen zu erwarten sind und auf welche Weise der Werkpreis angepasst wird. In einem weiteren Abschnitt befassen wir uns mit der Schlussabrechnung.
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18.1 Von den Aufgaben der Bauherrschaft
In diesem Abschnitt beleuchten wir aus der Optik der Bauherrschaft den Prozess der Projektabwicklung nach dem Abschluss des Totalunternehmer-Werkvertrages bis zum Projektende. In welcher Hinsicht ist das Gesamtleistungsmodell für sie einfach? Wo muss sie selber aktiv werden? Wir greifen einige wichtige Punkte heraus.
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Baueingabe
Es ist ein Merkmal der Gesamtleistungsausschreibung, dass die Bauherrschaft die Baueingabe erst dann einreichen kann, wenn die Ausschreibung abgeschlossen ist. Vorher liegt weder ein Projekt vor, das eingereicht werden kann, noch sind die Planer bestimmt, die sich damit befassen könnten. Die Bauherrschaft soll daher anstreben, nach dem Vertragsabschluss das Bewilligungsverfahren möglichst schnell einzuleiten, um den Zeitverlust in Grenzen zu halten. Grundsätzlich ist die Gesamtleistungsausschreibung ein eher langsames Verfahren. Näheres dazu siehe Abschnitt 19.2 «Die Planungsdauer bei der Gesamtleistungsausschreibung».
Für die Bauherrschaft ist das Eingabeverfahren je nach Projekt unterschiedlich aufwendig. Bei einem Einfamilienhaus muss sie kaum mehr tun, als die Gesuchsakten zu unterzeichnen. Bei einem industriellen Projekt dagegen kann die Baueingabe mit einem gewissen Arbeitsaufwand verbunden sein, indem die Bauherrschaft beispielsweise die betrieblichen Abläufe detailliert beschreiben muss.
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Projektänderungen
Es wäre schön, wenn Planer und Bauherrschaft das Projekt nach der Unterzeichnung des Totalunternehmer-Werkvertrages nicht mehr ändern, sondern nur noch verfeinern müssten. Dies ist zwar so weit wie möglich anzustreben, in den meisten Fällen bleibt es jedoch eine Illusion. In der Praxis dürften Projektänderungen für die Bauherrschaft wohl die grösste Herausforderung sein während der Projektabwicklung. Nachfolgend gehen wir auf einige Gründe ein, die Ursachen für Projektänderungen sein können.
Verbesserungszusagen
Es ist möglich, dass der Anbieter der baulichen Gesamtleistung im Rahmen der Vertragsverhandlungen Zusagen macht, das Projekt in einzelnen Punkten nachträglich noch zu verbessern. Diese Optimierungen können durchaus mehr als nur kosmetischer Art sein. Es kann beispielsweise darum gehen, die formale Erscheinung des Gebäudes (Fassadengestaltung etc.) nach einer Skizze zu überarbeiten, die bei den Vertragsverhandlungen vorgelegt und als akzeptabel befunden wurde. Eine derartige Projektänderung führt zu keiner Preisanpassung.
Lösung bisher aufgeschobener Fragen
Es ist ferner denkbar, dass wichtige planerische Fragen bisher bewusst aufgeschoben worden sind. Ein Beispiel ist die Lüftung eines Fabrikationsbetriebes. In gewissen Fällen ist es sinnvoll, dass das Grundkonzept der Lüftung in enger Zusammenarbeit zwischen dem Lüftungsplaner, den (industriellen) Nutzern und den bewilligenden Behörden festgelegt wird. Meistens dürfte aber die Bauherrschaft zum Zeitpunkt der Abfassung des Pflichtenheftes noch nicht auf die Dienste eines Lüftungsplaners zurückgreifen können. Eine Kontaktaufnahme mit den Amtsstellen ist daher wenig sinnvoll. Die unter Umständen heiklen Verhandlungen mit den Behörden werden also erst nach der Unterzeichnung des Totalunternehmer-Werkvertrages geführt, wenn sämtliche Planer bekannt sind. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das Lüftungskonzept nur provisorisch.
Forderungen der Behörden
Manchmal ist die Baubewilligung mit Auflagen der Behörden verbunden, die zu Projektänderungen führen, etwa auf dem Gebiet des Brandschutzes. Die Forderung nach dem Einbau einer Sprinkleranlage beispielsweise kann mit Zusatzinvestitionen von Hunderttausenden von Franken verbunden sein.
Geänderte Spezifikationen von Bauteilen
Bereits bei den Ausführungen zum Pflichtenheft haben wir darauf hingewiesen, dass im Pflichtenheft nicht alle Anforderungen an das Bauwerk, soweit sie die Wünsche von Bauherrschaft und Nutzer betreffen, definitiv formuliert werden können (siehe dazu auch die Ausführungen über «Optionen» im Absatz C «Anforderungen an Bauelemente des Gebäudes»; Abschnitt 15.2 «Bausteine von Pflichtenheften»). Nehmen wir als Beispiel den Boden einer Industriehalle. Wenn seine Spezifikation noch unsicher ist, geht man von der wahrscheinlichsten Art der Ausführung aus (beispielsweise Hartbeton), behält sich den definitiven Entscheid aber noch vor. Dieser wird erst nach zusätzlichen Abklärungen in der Ausführungsphase getroffen. Zu diesen ergänzenden Entscheidungsgrundlagen gehören etwa Besichtigungen, Tests, Richtofferten und dergleichen.
Betriebseinrichtungen
Einige Bauobjekte enthalten fest eingebaute betriebliche Einrichtungen. Hier stellen sich oft die planerisch schwierigsten Fragen des ganzen Projekts. Bei einer Lackieranlage beispielsweise ist das Bestimmen der besten Technologie und die Auswahl der optimalen Stufe der Automatisierung eine komplexe Planungsaufgabe. Es ist denkbar, dass sie erst im letztmöglichen Moment entschieden wird. Mit diesem Entscheid sind aber nicht unbedeutende bauliche Folgemassnahmen verbunden. Oft müssen umfangreiche Unterbauten erstellt werden, die abhängig vom Fabrikat der Anlage sind. Es ist sogar möglich, dass ein Medienanschluss nötig wird (beispielsweise Erdgas), der in der vorherigen Annahme nicht vorgesehen gewesen ist.
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Zusatzwünsche
Zusatzwünsche stellen eine spezielle Art von Projektänderungen dar. Darunter sind echte Mehrleistungen zu verstehen, die unabhängig von Sachzwängen von der Bauherrschaft frei gewählt und erst nach dem Abschluss des Vertrages beantragt werden. Man soll sich bei ihnen eine gewisse Selbstdisziplin auferlegen, sonst wird das anvisierte Kostenziel schnell überschritten. Die Möglichkeiten für Zusatzwünsche sind nämlich unbeschränkt: der Appetit kommt mit dem Essen.
Nachfolgend gebe ich für zwei ausgewählte Bauvorhaben einige Beispiele von Zusatzwünschen an. Bei einem Einfamilienhaus sind es eine luxuriösere Küche, elegantere Bodenplatten oder elektrisch bediente Storen, die die baulustige Familie locken. Bei einer Fabrik können sich fast alle Nutzer noch Verbesserungen vorstellen: die Spedition möchte einen zusätzlichen Laufkran, der Meister ein grösseres Werkstattbüro und der Produktionschef mehr Hallenfläche.
Bei Totalunternehmerverträgen ist die Gefahr viel weniger gross als beim traditionellen Architektenverfahren, dass sich Zusatzwünsche unbemerkt ins Projekt einschleichen können. In der Regel müssen Projektänderungen (einschliesslich der Kostenfolgen) von der Bauherrschaft nämlich formell genehmigt und unterzeichnet werden, sonst führt sie die Totalunternehmung nicht aus.
Bei grösseren Projekten ist es wichtig, dass auf Bauherrenseite die Zuständigkeiten für die Genehmigung von Projektänderungen klar festgelegt sind. Am besten ist es, wenn nur eine einzige Instanz (in erster Linie die Baukommission) dazu befugt ist. So wird vermieden, dass untergeordnete Stellen Mehrleistungen auslösen können, von denen die oberste Projektleitung gar nichts weiss.
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Bauausführung
Die Phase der Erstellung des Werkes auf der Baustelle stellt beim Gesamtleistungsverfahren keine hohen Anforderungen an die Bauherrschaft. Sie ist bei der Beschaffung der Bauleistungen nur ganz am Rande beteiligt und nimmt an den Vertragsverhandlungen mit den Unternehmern in der Regel nicht teil. Auch um die Überwachung der Bauausführung muss sie sich nicht kümmern, da die Bauleitung des Totalunternehmers im eigenen Interesse für ein möglichst friktionsfreies Geschehen sorgt.
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Werkabnahme
Im Unterschied zur Bauausführung ist die Werkabnahme für die Bauherrschaft anspruchsvoller als beim normalen Architektenverfahren (siehe Abschnitt 11.3 «Was Bauherrschaften über Werkverträge wissen sollten / SIA-Norm 118»; Absatz G «Abnahme des Werkes»). Bei letzterem verfolgen die Planer üblicherweise die gleichen Interessen wie die Bauherrschaft und sorgen dafür, dass die vereinbarten Leistungen von den ausführenden Unternehmern tatsächlich auch erbracht werden. Beim Gesamtleistungsverfahren muss dies nicht in gleicher Weise der Fall sein. Die Totalunternehmung hat für Mängel selber geradezustehen, weshalb sie der Verlockung ausgesetzt sein kann, diese zu vertuschen.
Es empfiehlt sich somit, die Werkabnahme mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen. Betrachten wir dazu das Beispiel einer Fabrik. Meines Erachtens braucht es hier für die Abnahme in vielen Fällen keine externen Fachleute, und es genügt, dafür ein Team von firmeninternen Experten zusammenzustellen. Jeder Teilnehmer überprüft ein Sachgebiet, auf dem er vertiefte Kenntnisse besitzt: Der Betriebselektriker inspiziert die Elektroanlagen, der Abwart die Heizung und so weiter. Als Ergebnis der Überprüfung entsteht eine Mängelsammlung, die allenfalls Dutzende von Seiten umfassen kann. Vieles darunter wird belanglos sein. Eine undichte Druckluftleitung wird ohne Aufhebens repariert. Wenn aber bei der Heizung beispielsweise die im Pflichtenheft vorgesehene Nachtabschaltung fehlt, ist nicht so ohne weiteres klar, wer dafür aufkommen muss. Ein umfassendes Abnahmeprotokoll gewährleistet, dass nichts vergessen geht und alle hängigen Punkte zügig erledigt werden können.
Eine der letzten Tätigkeiten im Projektablauf ist das Entgegennehmen der Projektdokumentation. Sie wird bei der Werkabnahme vermutlich noch nicht vorliegen. Sie soll in nützlicher Frist als komplettes Dossier an die Bauherrschaft ausgehändigt werden. Dazu gehören die revidierten Ausführungspläne (Revisionspläne) sowie Betriebsanleitungen und dergleichen.
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18.2 Anpassungen des Werkpreises
Wir haben im letzten Abschnitt festgestellt, dass Projektänderungen nach Abschluss des Totalunternehmer-Werkvertrages praktisch immer zu erwarten sind. Als Folge davon muss die Vertragssumme angepasst werden können, nach oben wie nach unten. Dieses Prozedere wird unterschiedlich bezeichnet. Eingebürgert haben sich etwa die Begriffe «Nachträge» oder «Kostennachträge», bei international tätigen Firmen verwendet man vielleicht sogar den englischen Ausdruck «Change order» (Änderungsauftrag).
Die Anpassungen des Werkpreises werden üblicherweise nach standardisierten Verfahren durchgeführt. Viele Firmen verwenden dazu Formulare. Das Grundprinzip ist zwar immer gleich, in wichtigen Details sind aber Unterschiede möglich. Es sei der Bauherrschaft eindringlich empfohlen, sich mit der Technik der Preisanpassung vor Vertragsunterzeichnung vertraut zu machen. Am besten sind praxisnahe Beispiele, die vom Vertragspartner vordemonstriert werden. Es ist zum Beispiel zu klären, ob für die Mehrleistungen neben dem Risikozuschlag (GU-Zuschlag) auch noch ein Honorarzuschlag verrechnet wird oder nicht. In den Beispielen auf den nächsten Seiten geht die Annahme dahin, dass im Normalfall und bei eher kleineren Aenderungen kein Honorarzuschlag verlangt wird. Dafür wird dem Totalunternehmer bei grösseren Umplanungen ein Zusatzhonorar in Aussicht gestellt, das im konkreten Fall jeweils individuell festgelegt werden soll.
Eine andere Lösung für die Entschädigung des Planungsaufwands bei Projektänderungen sind fest vereinbarte Honorarzuschläge (beispielsweise 10% Zuschlag) für alle Nachträge.
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Ursachen für Preisanpassungen infolge Projektänderungen
Auf eine Vielzahl möglicher Ursachen von Preisanpassungen sind wir bei der Auflistung von typischen Projektänderungen gestossen (siehe weiter oben, Abschnitt 18.1 «Von den Aufgaben der Bauherrschaft»; Absatz «Projektänderungen»). Meistens haben Projektänderungen Auswirkungen auf den Preis, da es sich um Mehrleistungen in Form zusätzlicher oder höherwertiger Bauteile handelt. Preisanpassungen sind beispielsweise nötig, wenn die Storen elektrisch statt manuell bedient werden oder wenn für eine Metallfassade anstelle eines Profils aus Blech eine höherwertige Ausführung aus Aluminium gewählt wird. Diese Art von Preisanpassung ist in der Praxis die weitaus häufigste.
Es gibt auch Preisanpassungen nach unten. Möglicherweise verzichtet die Bauherrschaft auf einen Bauteil oder führt ihn in Eigenleistung selber aus. Denkbar ist auch, etwa im Fall von Betriebseinrichtungen, dass sie während der Ausführungsplanung Bauteile aus dem Totalunternehmer-Werkvertrag herausnimmt und selber beschafft. Der totale Investitionsbetrag sinkt dadurch nicht, es findet nur eine Umbuchung vom Leistungsumfang des Totalunternehmers in ein Budget der Bauherrschaft statt.
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Beispiele von Preisanpassungen
Anhand von drei Beispielen machen wir uns im folgenden näher mit den Grundprinzipien von Preisanpassungen (Nachträgen) infolge Projektänderungen vertraut. Sie beziehen sich auf den Totalunternehmer-Werkvertrag gemäss Abschnitt 17.5 «Entscheid, Vertragsabschluss».
Nachtrag 1
Nachtrag 1 beinhaltet einen ganz gewöhnlichen Mehrpreis. Gegenstand des Nachtrages sind Einzelfundamente für Produktionsmaschinen und Betriebseinrichtungen. Im Pflichtenheft und den Vertragsplänen sind die Einzelfundamente genau spezifiziert. Im Laufe der Detailplanung äussert die Bauherrschaft den Wunsch, diese im Hinblick auf eine höhere Flexibilität grösser als im Totalunternehmer-Werkvertrag vorgesehen auszuführen. Die Mehrkosten für die zusätzlichen Kubaturen werden vom Bauingenieur im Detail ausgewiesen und betragen 4 800 Fr. Dazu kommt, gemäss Vereinbarung im Werkvertrag, ein GU-Zuschlag von 5% (240 Fr.) für die Abdeckung der Risiken. Die ursprüngliche Werkvertragssumme von 9 250 000 Fr. erhöht sich somit auf die bereinigte Summe von 9 255 040 Fr.
Es ist ein wichtiges Merkmal von Kostennachträgen beim Totalunternehmer-Werkvertrag, dass nach jeder Preisanpassung der aktuelle Werkpreis neu ermittelt wird. Diese bereinigte Werkvertragssumme stellt das aktualisierte Kostendach dar. Soviel muss die Bauherrschaft maximal bezahlen. Die effektiv zu bezahlende Summe kann aber auch tiefer liegen, sofern vereinbart worden ist, dass die Bauherrschaft an einer Unterschreitung des Kostendaches partizipieren soll.
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Beispiel 1 von Kostennachträgen (Projektänderungen)
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Nachtrag 2
Nachtrag 2 stellt den etwas komplizierteren Fall eines Mehrpreises dar. Das Konzept der Storen gemäss Werkvertrag soll durch eine höherwertige Lösung ersetzt werden. Es fällt somit eine Leistung weg und eine neue, teurere kommt hinzu.
Bei der Berechnung des Nachtrages ist eine Besonderheit des abgeschlossenen Werkvertrages zu berücksichtigen. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen hat der Totalunternehmer einen Preisnachlass (Konkurrenzrabatt) von 4% gewährt. Wenn nun wie im Falle der Storen Leistungen aus dem ursprünglichen Leistungspaket herausgenommen werden, muss konsequenterweise der Rabatt von 4% auch dem entnommenen Teil zugestanden werden.
Zu beachten ist im weiteren die Berechnung des GU-Zuschlages. Im Beispiel wird angenommen, dass bei der alten Storenlösung (49 920 Fr. nach Abzug des Rabatts) der GU-Zuschlag bereits inbegriffen ist. Es ist somit zulässig, bei der revidierten Storenlösung (84 500 Fr.) den GU-Zuschlag für den ganzen Betrag zu erheben und nicht nur für den Mehrpreis gegenüber der alten Lösung.
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Beispiel 2 von Kostennachträgen (Projektänderungen)
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Nachtrag 3
Nachtrag 3 stellt den komplexen Fall einer Projektänderung dar, wo Diskussionen über die Kostenfolgen wohl kaum zu vermeiden sind. Es geht um das Konzept einer Hallenlüftung. Nach dem Abschluss des Totalunternehmer-Werkvertrags finden Gespräche mit den Behörden statt. Dabei stellt sich heraus, dass die Lüftung wesentlich einfacher ausgeführt werden kann, als im Pflichtenheft für den Totalunternehmer-Werkvertrag spezifiziert worden ist. Da die finanziellen Einsparungen erheblich sind, vertreten die Vertragsparteien unterschiedliche Auffassungen, welches die Ursachen der Einsparungen sind.
Sind es reduzierte Anforderungen des Bauherrn und damit Minderleistungen des Werkvertragspartners, wofür die Bauherrschaft plädiert? Dann ist es logisch, dass die Werkvertragssumme reduziert wird. Oder ist es im Gegenteil eine kreative Spitzenleistung des Planers, die zur Einsparung führt? Diese These vertritt der Totalunternehmer. In diesem Fall wäre die Werkvertragssumme unverändert zu lassen.
Im Beispiel ist erläutert, wie ein Kompromiss gefunden werden kann, der beiden Vertragsparteien entgegenkommt. Die Vertragssumme wird reduziert, aber gleichzeitig erhält der Totalunternehmer eine Planungsentschädigung, die für den konkreten Fall individuell vereinbart wird.
Im geschilderten Beispiel wäre es auch möglich, Heizung und Lüftung komplett aus der garantierten Vertragssumme herauszunehmen und für diese Leistungen lediglich Budgetpreise einzusetzen (siehe Abschnitt 12.3 «Der Generalunternehmer-Werkvertrag»; Absatz C «Preisbestimmung»). Budgetpreise sind dann zu wählen, wenn die Leistungen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht genau definiert sind.
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Beispiel 3 von Kostennachträgen (Projektänderungen)
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18.3 Unsicherheiten der Kostenprognose
Auf den ersten Blick erstaunt die Aussage, dass beim Totalunternehmermodell überhaupt Unsicherheiten der Kostenprognose bestehen sollen. Der Totalunternehmer darf die Werkvertragssumme ja bekanntlich nicht überschreiten. Quellen der Unsicherheit liegen denn auch nicht beim Vertrag an und für sich, sondern zum kleineren Teil beim Pflichtenheft, das dem Vertrag zugrunde liegt (und welches nie ganz genau sein kann), zum grösseren Teil jedoch bei den unvermeidlichen Zusatzwünschen der Bauherrschaft. In diesem Abschnitt wollen wir abschätzen, in welchem Masse die genannten Unsicherheitsfaktoren die Vertragssumme im Totalunternehmer-Werkvertrag beeinflussen können – meistens nach oben.
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Projekte mit unterschiedlichem Anpassungsbedarf
Es sind nicht alle Projekte gleich anfällig auf Zusatzwünsche und Projektänderungen. Katalogprodukte wie Typenhäuser beispielsweise kommen mit ganz wenigen Preisanpassungen aus, falls überhaupt solche nötig sind. Es gibt aber auch Bauprojekte mit vielen Aenderungen. In der Regel zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie aus unterschiedlichen Gründen zum Zeitpunkt der Abfassung des Pflichtenheftes nicht in allen Teilen verbindlich definiert werden können. Sie basieren somit auf einem Pflichtenheft, das nach Vertragsabschluss noch modifiziert wird. Ein typisches Beispiel dafür ist eine Fabrik mit komplexen Betriebseinrichtungen.
Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man darauf reagieren kann, dass einzelne Teile eines Pflichtenheftes noch mit Unsicherheiten behaftet sind: mit Budgetpreisen (siehe dazu auch Abschnitt 12.3 «Der Generalunternehmer-Werkvertrag»; Absatz C «Preisbestimmung») und mit der Spezifikation der wahrscheinlichsten Ausführung. Bei der ersten Möglichkeit verzichtet man auf eine genaue Spezifikation und rechnet die fragliche Leistung zu gegebener Zeit separat offen ab. Bei der zweiten Möglichkeit jedoch beschreibt man im Pflichtenheft die wahrscheinlichste Art der Ausführung, nimmt jedoch in Kauf, dass man die Spezifikation nach Vertragsabschluss nochmals ändern muss. Persönlich ziehe ich die zweite Variante vor.
Bei einem Projekt wie der oben genannten Fabrik ist es durchaus möglich, dass fünfzig Preisanpassungen (Projektänderungen) vorgenommen werden müssen, sofern man weitgehend auf Budgetpreise verzichtet. Das gültige Vertragsdokument besteht dann aus der ursprünglichen Fassung bei Vertragsabschluss sowie einer im Laufe der Projektabwicklung ständig länger werdenden Kette von Nachträgen. Dank den laufend nachgeführten Aenderungen ist der Werkvertrag aber immer «tagesaktuell».
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Beispiel eines Projektes mit vielen Änderungen
Wir wollen das Beispiel eines Projektes mit vielen Änderungen etwas näher betrachten. In der nachfolgenden Tabelle ist dargestellt, wie sich die änderungsbedingten Mehrkosten typischerweise zusammensetzen können.
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Mehrkosten (Nachträge) bei einem Projekt mir vielen Änderungen (Beispiel)
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Gebäudekosten
Bei den Gebäudekosten, die den grössten Teil der Anlagekosten ausmachen, sind die Abweichungen am kleinsten. Mit 1 bis 2% Mehrkosten in Form von Nachträgen (Projektänderungen) sollte man auskommen. Sie resultieren praktisch ausschliesslich aus Zusatzwünschen der Bauherrschaft (teurere Bauteile als im Pflichtenheft vorgesehen), zu einem kleineren Teil auch aus Forderungen der Behörden (z. B. betreffend Brandschutz).
Betriebseinrichtungen
Darunter verstehen wir die eher baunahen Betriebseinrichtungen, die im Leistungsumfang des Totalunternehmer-Werkvertrags enthalten sind und nicht von der Bauherrschaft selber beschafft werden. Betriebseinrichtungen sind wesentlich empfindlicher auf Mehrkosten (im Beispiel +10%) als die Gebäudekosten. Ein Beispiel dafür sind die Einzelfundamente für Produktionsmaschinen und betriebliche Einrichtungen im Beispiel «Nachtrag 1», die grösser als ursprünglich vorgesehen ausgeführt werden (siehe weiter oben; Abschnitt 18.2 «Anpassungen des Werkpreises»).
Umgebung und Erschliessung
Bei dieser zusammengefassten Position ist im Beispiel mit +31% eine deutliche Überschreitung der ursprünglichen Summe angegeben. In Franken ausgedrückt ist der Mehrbetrag allerdings nicht so dramatisch. Das Kostenziel wird darum überschritten, weil die Spezifikationen für Umgebung und Erschliessung zum Zeitpunkt der Erstellung des Pflichtenheftes oft noch mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind. Da die Totalunternehmer keine andere Möglichkeit haben, als sich bei der Ausarbeitung des Angebots auf das Pflichtenheft abzustützen, können spätere Nachforderungen nicht ausgeschlossen werden.
Umgebung und Erschliessung weisen gemeinsam das charakteristische Merkmal auf, dass sich Mehrleistungen massiv auswirken können. Betrachten wir dazu als anschauliches Beispiel die sogenannten Hartflächen rund um eine Fabrik. Wenn sich die Industrieanlage auf einem weitläufigen Firmenareal befindet, kann nach Vertragsabschluss bei der Bauherrschaft durchaus der Wunsch auftauchen, dass die Hartfläche grösser als ursprünglich vorgesehen ausgeführt werden soll. Damit diese grosse Fläche auch richtig genutzt werden kann, muss möglicherweise gleichzeitig die Nutzlast gegenüber der Spezifikation im Pflichtenheft erhöht werden: der Hartplatz soll nicht nur für Stapler ausgelegt werden, sondern für 40-Tonnen-Lastwagen. – Gekoppelt ergeben die beiden Spezifikationsänderungen einen substantiellen Nachtrag.
Noch krasser wirken sich Projektänderungen bei den Erschliessungsleitungen auf die Kosten aus. Nehmen wir an, im Pflichtenheft sei kein Gasanschluss vorgesehen gewesen. Im Verlauf der betrieblichen Planung stellt sich aber heraus, dass Erdgas für spezielle industrielle Zwecke vorteilhafter wäre als Elektrizität. Die Versorgung mit diesem zusätzlichen Medium stellt einen erheblichen Kostenfaktor dar.
Baunebenkosten und Honorare
Diese Positionen sind bis auf ganz wenige Ausnahmen fix. Mehrkosten sind somit nicht zu erwarten.
Gesamte Anlagekosten
Die Anlagekosten steigen im Beispiel durch die Projektänderungen (Mehrleistungen) von 9.25 Mio. um 0.4 Mio. an, was eine prozentuale Erhöhung um 4% ergibt.
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Die Bauherrenreserve bei Gesamtleistungsverträgen
Das praxisnahe Beispiel im letzten Abschnitt erlaubt uns, für unterschiedliche Bauvorhaben Richtwerte für das Ausmass der Mehrkosten infolge Projektänderungen anzugeben. Diese finanzielle Planungsreserve steht ausschliesslich der Bauherrschaft zur Verfügung und ist nicht Bestandteil des Totalunternehmer-Werkvertrages. Wir bezeichnen sie als Bauherrenreserve. Die änderungsbedingten Mehrkosten liegen üblicherweise im Bereich von 1% bis etwa 5% der Anlagekosten, wobei je nach Projekt erhebliche Unterschiede zu erwarten sind.
A. Einfache Projekte ohne besondere Risiken
Hier betragen die mutmasslichen Mehrkosten etwa 1 bis 2%. Ein Beispiel für diesen einfachen Fall ist ein Typenhaus (Einfamilienhaus). Der Werkpreis betrage 450 000 Fr. (ohne Land). Nach der Vertragsunterzeichnung kommt die Bauherrschaft zum Schluss, dass sie entgegen ihrer früheren Meinung doch gerne einen Cheminéeofen und eine Abwaschmaschine hätte: Schon sind die 2% Mehrkosten erreicht.
B. Einfache Projekte mit speziellen Risiken
Es gibt verschiedene Ursachen für spezielle Risiken: unsicherer Baugrund bei Neubauten, Unsicherheiten über den Zustand der Bausubstanz bei Umbauten und so weiter. In solchen Fällen ist eine Reserve für Mehrkosten von 5 bis 10% empfehlenswert, sofern nicht alle Risiken ausdrücklich in den Totalunternehmer-Werkvertrag eingeschlossen werden.
Nehmen wir als Beispiel ein individuell konzipiertes Einfamilienhaus, das auf einem etwas problematischen Baugrund erstellt werden soll. Selbst wenn ein geologisches Gutachten vorliegt, kann über die baulichen Massnahmen im Detail erst an Ort und Stelle bei offener Baugrube entschieden werden. Im ungünstigen Fall können die Mehrkosten für die Verbesserung des Baugrundes ohne weiteres 40 000 Fr. ausmachen. Bei Anlagekosten von 600 000 Fr. (ohne Land) ergibt sich dadurch eine Kostenüberschreitung um rund 7%.
C. Komplexe Projekte mit vielen Aenderungen
Auf ein derartiges Beispiel sind wir weiter oben eingegangen (siehe Absatz «Beispiel eines Projektes mit vielen Änderungen»). Für allfällige änderungsbedingte Mehrkosten ist eine Bauherrenreserve von 5% empfehlenswert.
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18.4 Schlussabrechnung
Die Art der Schlussabrechnung ist für die Bauherrschaft bei Gesamtleistungsverträgen wesentlich anders als beim konventionellen Vorgehen mit unabhängigen Planern. Dank den laufend nachgeführten Kostennachträgen ist die Vertragssumme während der gesamten Projektdauer immer auf dem neuesten Stand. Falls nur unbedeutende Projektänderungen vorgenommen werden, entspricht die aktualisierte Vertragssumme weitgehend dem ursprünglich vereinbarten Werkpreis.
Für die Schlussabrechnung gibt es zwei wichtige Grundvarianten: den Pauschal- oder Globalpreis einerseits, die offene Abrechnung mit Kostendach andererseits.
Variante 1: Pauschal- oder Globalpreis
Beim Pauschalpreis entspricht die Abrechnungssumme der aktualisierten Vertragssumme. Darunter ist die ursprüngliche Vertragssumme einschliesslich aller genehmigten Nachträge zu verstehen. – Der Globalpreis unterscheidet sich von Pauschalpreis lediglich dadurch, dass zusätzlich noch die Teuerung nach einem vorher vereinbarten Modus verrechnet werden kann.
Variante 2: Offene Abrechnung mit Kostendach
Bei diesem Verfahren wird die obere Grenze eines Preises festgelegt (= Kostendach), den die Bauherrschaft maximal bezahlen muss. Der Totalunternehmer garantiert dafür, dass diese Limite nicht überschritten wird. Grundsätzlich wird aber nach Ergebnis abgerechnet. Wenn das Bauwerk weniger kostet als die maximale Preislimite, wird die Einsparung nach einem vorher vereinbarten Schlüssel (häufig je 50%) zwischen Totalunternehmer und Bauherrschaft aufgeteilt: Die Bauherrschaft erhält einen Bonus. Das Verfahren setzt voraus, dass das ganze Kostenwesen für die Bauherrschaft transparent (offen) ist.
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Beispiel einer offenen Abrechnung (mit Kostendach)
An einem Beispiel wollen wir uns mit den Grundzügen der offenen Abrechnung mit Kostendach vertraut machen. Wir gehen davon aus, dass vereinbart worden sei, dass eine allfällige Unterschreitung des Kostendaches zu je 50% der Bauherrschaft und dem Totalunternehmer zugute komme.
• Schritt A
Ausgangspunkt der Abrechnung ist der aktualisierte Werkpreis, auch als Kostendach bezeichnet. Er enthält sämtliche Nachträge.
• Schritt B
Dem Kostendach werden die effektiv abgerechneten Anlagekosten gegenübergestellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein GU-Zuschlag in die Anlagekosten eingerechnet wird.
• Schritt C
Zuletzt wird der Bonus ermittelt. Die Bauherrschaft erhält dann einen Bonus, wenn der Abrechnungsbetrag (inkl. GU-Zuschlag) kleiner ist als das Kostendach.
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Prinzip der offenen Abrechnung mit Kostendach (Neubau Messerfabrik Scharf)
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