Kommentar zur digitalen Neuausgabe 2019 von «Günstiger bauen»
(20 Jahre nach der erstmaligen Publikation) 

Im Kapitel 3 wird dargelegt, dass die Bauwirtschaft normalerweise hinsichtlich der Kosten wenig transparent ist.

Eine löbliche Ausnahme dazu ist eine Publikationsreihe über Wohnsiedlungen, welche von der ETH Zürich im Jahr 1992 herausgegeben worden ist. Die Wohnqualität der Siedlungen wird anhand einer standardisierten Bewertung erhoben. Interessant ist nun die Beziehung zwischen Qualität (Wohnwert) und Baukosten. 

Der Befund der Autoren der Studie lautet, dass im Gegensatz zu der landläufigen Meinung kein Zusammenhang besteht zwischen Wohnqualität und Baukosten. Hochwertige Siedlungen müssen also nicht teuer sein, und teure Siedlungen müssen nicht zwangsläufig hochwertig sein.

Dies ist das brisante Hauptergebnis einer schon ziemlich in die Jahre gekommenen Studie, die aber auch heute noch ausgesprochen lesenswert ist.

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Inhalt Kapitel 3: 

3.1 Der Baumarkt ist eine Dunkelkammer
3.2 Ein Testbericht über Wohnbauten

Ist es nicht merkwürdig, dass Architekten und Totalunternehmer darüber streiten, ob man mit dem traditionellen Verfahren oder dem neuen Gesamtleistungsmodell besser und günstiger bauen kann? Unter normalen Verhältnissen müsste doch der Markt sehr schnell herausfinden, welches der erfolgversprechendere Weg ist. Dem besseren Angebot würde er die Krone des Erfolgs aufsetzen – für alle sichtbar. Irgend etwas kann also nicht stimmen im Baumarkt.

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3.1 Der Baumarkt ist eine Dunkelkammer

Es fehlt in der Bauwirtschaft tatsächlich etwas: Transparenz. Die logische Folge ist, dass unter den Marktakteuren Behauptungen und Vermutungen dominieren. Transparenz fehlt nicht nur betreffend die Vorzüge der genannten Realisierungsmodelle, sondern ganz generell. Dem breiten Publikum ist beispielsweise meistens völlig unklar, wie die Leistungen der zahlreichen Architekten einzustufen sind, die ihre Dienste anbieten. Da den Akteuren die Übersicht fehlt, ist der Markt nicht «effizient», wie die Ökonomen sagen.

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Viele andere Märkte sind ausgesprochen transparent

Ein guter Markt zeichnet sich dadurch aus, dass er transparent ist für die Nachfrager. Bei einem Gemüsemarkt beispielsweise trifft dies zu. Wer einmal quer durch den Markt in der Stadt Bern schlendert, weiss, wo die besten und günstigsten Rüebli zu kaufen sind.

Auch bei komplizierteren Produkten als Rüebli kann Transparenz geschaffen werden. Ein gutes Beispiel ist die Finanzindustrie. In dieser Branche werden die Anbieter und ihre Produkte laufend beurteilt, und zwar gleich von mehreren unabhängigen Institutionen. Ganze Banken oder einzelne Anleihen bekommen ein sogenanntes Rating. Die Bezeichnung AAA beispielsweise bedeutet für eine Bank ein Top-Rating.

Speziell interessant ist die Beurteilung von Anlagefonds. Diese können, ähnlich wie die Tätigkeit von Architekten, als hochwertige Dienstleistungen für Kunden betrachtet werden. Es gilt, mit viel Wissen, aufwendigen technischen Hilfsmitteln und einer gehörigen Portion an Kreativität und Intuition, für den Anleger die beste Rentabilität («Performance») herauszuholen. Die Performance wird von unabhängigen Agenturen (Standard & Poors, Micropal etc.) periodisch gemessen. Diese neutralen und objektiven Informationen sind sehr nützlich für den Markt.

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Aktienfonds Schweiz; Performance 5 Jahre (28.2.92 bis 29.2.96)
Performance einiger ausgewählter Fonds

k3-1

Quelle: Bopp ISB, in: Magazin «Invest», Finanz und Wirtschaft, Zürich, April 1996

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Wo gibt es ähnliches in der Bauwirtschaft? Welches sind die Rating-Agenturen? Wo sind die Kosten-Nutzen-Analysen von Bauwerken? Wer beurteilt die Leistungsfähigkeit von Planern, und sei es auch nur grob? Wieso gibt es nicht einmal für derart häufige Bauvorhaben wie Einfamilienhäuser neutrale Marktberichte, die diesen Namen verdienen?

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Geheimniskrämerische Bauwirtschaft

Vielerorts herrscht noble Zurückhaltung, wenn es beim Bauen um die «Performance» geht. Etwas ketzerisch darf man sich sogar die Frage stellen, ob die eigentlichen Geschäftsgeheimnisse im Bauwesen nicht der ganze Bereich der Kosten seien. Eine der grössten Firmen im schweizerischen Baumarkt beispielsweise hat vor nicht allzu langer Zeit Kostenschätzungen von Bauprojekten, die mit der Elementmethode durchgeführt worden sind, als «geheim» klassifiziert. Nicht einmal Kunden haben die Details sehen dürfen.

Es gibt bezeichnenderweise auch keine umfassende Sammlung von Kostenkennwerten von ausgeführten Bauwerken. Diese Angaben würden sich gut als Messlatte («Benchmark») eignen für neue Projekte. An derartigen Vorgaben könnten sich Planer und ihre Bauherren orientieren. Leider unternimmt die öffentliche Hand als die grösste Bauherrin in der Schweiz diesbezüglich auch nicht viel. Sie hätte es in der Hand, ein Gerüst von Kostenanalysen von Referenzobjekten zu publizieren. Das wäre zweifellos nützlich für die ganze Bauwirtschaft.

Fehlende Transparenz ist für jeden Markt schädlich. Für die Bauwirtschaft wirkt sie sich in mehrfacher Hinsicht negativ aus. Nachteilig ist sie insbesondere für die grosse Mehrheit der Bauherren, weil sie die Marktpreise für Bauleistungen nur sehr ungenau kennen. Dies kann unter Umständen erhöhte Baukosten zur Folge haben. Ungünstig ist sie aber auch für einen Teil der Planer, insbesondere für die besonders kostenbewussten. Weil das breite Publikum die Leistungsfähigkeit der Planer auf dem Gebiet der Kosten nur unzureichend beurteilen kann, können sich kompetente Fachleute kaum profilieren. Die Inkompetenten dagegen können sich sehr gut im Dickicht des Marktes verstecken.

Eine nützliche Orientierungshilfe für Baulustige wären Kosten-Nutzen-Analysen von realisierten Bauprojekten. Eines der wenigen guten Beispiele, die es auf diesem Gebiet gibt, betrachten wir nachfolgend näher.

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3.2 Ein Testbericht über Wohnbauten

Eine löbliche Ausnahme in dem trüben Feld der Behauptungen und Vermutungen über die Güte von Bauwerken und deren Kosten ist eine Testreihe über Wohnsiedlungen, herausgegeben von der ETH Zürich (Quelle: Wohnbauten im Vergleich, Verlag der Fachvereine, Zürich 1992, Herausgeber: Professor Paul Meyer, Institut für Hochbautechnik, ETH Zürich). Von der angegebenen mehrbändigen Publikationsreihe verwenden wir in erster Linie den Gesamtbericht.

Die Autoren betätigen sich, um den Jargon der Finanzindustrie zu verwenden, als Rating-Agentur für Wohnsiedlungen. Grundsätzlich geht es in der Studie darum, die Wohnqualität von ausgewählten Siedlungen nachvollziehbar zu beurteilen. Mit dem Resultat, dem Wohnwert, können dann interessante Vergleiche angestellt werden. Besonders aufschlussreich ist eine Gegenüberstellung mit den Kosten.

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Wohnqualität messen

Zuerst fragen wir uns, wie man die Qualität im Wohnbereich messen kann. Während man sich noch relativ schnell einigen kann, auf welche Qualitätsmerkmale es etwa bei einer Glühbirne oder einem Staubsauger ankommt, wird das gleiche Unterfangen bei einer Wohnung viel schwieriger. Es gibt keine naturgegebene, objektive Definition der Wohnqualität. Wenn man eine Anzahl Leute darüber befragt, werden unterschiedliche Merkmale genannt, die ein wohnliches Umfeld ausmachen. Sie werden auch individuell unterschiedlich gewichtet. Jedes System, das eine derart komplexe Qualität wie die Wohnqualität misst, kommt daher ohne ein gewisses Mass an Willkür nicht aus.

Die Autoren der ETH-Studie greifen auf ein Messinstrument zurück, das in den siebziger Jahren konzipiert worden ist und damit schon eine lange Geschichte hat: das Wohnungsbewertungssystem WBS. Es ist ein verwaltungsinternes Instrument des Bundesamtes für Wohnungswesen. Mit ihm wird beurteilt, ob Wohnprojekte Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand haben. Es ist speziell für das preisgünstige Marktsegment geeignet, denn nur dieses hat Anspruch auf Förderung. Für höherpreisige Wohnungen ist das WBS nur bedingt anwendbar.

Instrumente wie das Wohnungsbewertungssystem WBS basieren auf der Entscheidungsmethode der Nutzwertanalyse. Es ist nicht ganz einfach, gute Nutzwertanalysen zu konzipieren. Im Falle des WBS haben es die Entwickler zweifellos am nötigen wissenschaftlichen Tiefgang nicht mangeln lassen. Wer Freude an umfassender Systematik hat, kommt hier voll auf seine Rechnung.

Der Wohnwert gemäss WBS wird ermittelt aufgrund von gut fünfzig Kriterien, auf die wir nicht im einzelnen eingehen. Sie sind in den zwei Gruppen «Wohnung» und «Wohnanlage» zusammengefasst (siehe unten). Wenn ein Projekt bei der Beurteilung eine bestimmte Punktzahl erreicht, wird es als unterstützungswürdig erachtet. Voraussetzung ist allerdings, dass es einige zusätzliche Kriterien erfüllt (minimale Raumgrössen, Kostenlimiten etc.).

Der Wohnwert ist unabhängig von der Güte des Standortes. Standortbezogene Kriterien wie Erholungsmöglichkeiten, zentrale Einrichtungen, Schulen, öffentlicher Verkehr und dergleichen beeinflussen ihn nicht. Der Wohnwert ist somit ausschliesslich ein Mass für die Güte der Architektenarbeit. Ein wichtiges Kriterium wird allerdings ausgeklammert, nämlich die formale Gestaltung (Ästhetik).

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Kriterien für die Ermittlung des Wohnwertes
(gemäss Wohnungsbewertungssystem WBS)

Kriteriengruppe W1: Wohnung

  • Möblierbarkeit (Raumflächen, Breiten, Stellwandflächen)
  • Beziehungen der Räume untereinander
  • Raumaufteilung und Veränderbarkeit (z. B. nichttragende Wände)
  • wohn-physiologische Eignung (Orientierung, Belichtung, Ausstattung in Küche und Bad, Schallschutz)

Kriteriengruppe W2: Wohnanlage

  • Wohnungsauswahl (unterschiedliche Wohnungstypen)
  • Erschliessung (Parkplätze, Hauseingang, interne Erschliessung)
  • gemeinsame Einrichtungen im Haus und im Freien (Mehrzweckraum, Spielplatz, Gartenanteil etc.)

Quelle:
Wiegand/Aellen/Keller: Wohnungsbewertung / Wohnungs-Bewertungs-System (WBS), Schriftenreihe Wohnungswesen Band 35, Bundesamt für Wohnungswesen, Bern, Ausgabe 1986


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Ein verblüffendes Ergebnis

Interessant ist nun eine Gegenüberstellung von Wohnwert und Kosten von verschiedenen Siedlungen. Für die Gebäudekosten wird der Kubikmeterpreis (gemäss SIA 116) verwendet. Damit die Werte von verschiedenen Erstellungsjahren vergleichbar sind, werden die Kostenkennwerte auf den gleichen Referenzzeitpunkt umindexiert.

Wir beschränken uns auf drei bekannte Wohnanlagen: zwei Siedlungen aus der Region Bern (Aumatt II in Hinterkappelen von der ARB Arbeitsgruppe und Thalmatt II vom Atelier 5) sowie das sogenannte Indexhaus (siehe Abschnitt 1.4 «Ein Beispiel zur Bandbreite der Kosten» im Kapitel 1) an der Limmatstrasse in Zürich. Die wichtigsten Zahlen sind in der nachfolgenden Tabelle zusammengestellt. Wir interpretieren sie wie folgt:

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Kosten-Nutzen-Vergleich von drei ausgewählten Siedlungen
(alle Siedlungen Baujahr 1983 bis 1985)

k3-2aQuelle:
Meyer (Herausgeber), Wohnbauten im Vergleich, Seite 28 (genaue Quellenangabe siehe am Anfang dieses Abschnitts)


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Vergleich Aumatt – Thalmatt

Gemäss Wohnungsbewertungssystem WBS haben beide Anlagen praktisch den gleichen Wohnwert von etwas über 1 450 Punkten. Aber sie sind unterschiedlich teuer. Der Kubikmeterpreis beträgt für die Aumatt 465 Fr. pro m3, für die Thalmatt jedoch 757 Fr. pro m3.

Das scheinbar schlechte Preis-Leistungs-Verhältnis der Siedlung Thalmatt hat eine plausible Erklärung und darf keineswegs überbewertet werden. Die Architekten verfolgen hier ein aufwendiges architektonisches Konzept und bieten ein grosszügiges Raumprogramm an. Beides wird von den Bewohnern in hohem Masse geschätzt. Die Siedlungen des Atelier 5 gehören in vielen Kreisen denn auch zu den bevorzugtesten Wohnadressen überhaupt. Diese zweifellos vorhandene Wohnqualität schlägt sich allerdings nicht ausreichend im Wohnwert gemäss WBS nieder, da dieses Messinstrument für Wohnungsbau der gehobenen Klasse nur bedingt geeignet ist. Die Siedlung Thalmatt hat Qualitäten, die mit dem Wohnungsbewertungssystem WBS nicht erfasst werden.

Vergleich Aumatt – Indexhaus

Gemessen an der Mustersiedlung Aumatt kann das Indexhaus in Zürich als biederer Durchschnitt bezeichnet werden. Dieser konventionelle städtische Wohnblock hat fast den gleichen Kubikmeterpreis wie die Aumatt, aber einen viel geringeren Wohnwert.

Fazit

Aus den beiden Vergleichen können wir das Fazit ziehen, dass ein hoher Wohnwert nicht zwangsläufig mit hohen Kosten verbunden ist. Es besteht kein Zusammenhang zwischen Qualität und Kosten. Das Ergebnis ist so bedeutsam, dass es sich lohnt, den verblüffenden Befund der Autoren im Wortlaut wiederzugeben (Seite 31 des oben zitierten Werkes):

«Im Gegensatz zu der landläufigen Meinung kann kein Zusammenhang zwischen Wohnqualität und Baukosten aufgezeigt werden. Das heisst, dass mit der Optimierung des Gebäudetypus, der Grundrisse, der Konstruktion und des Ausbaustandards günstiger Wohnraum mit guter Wohnqualität erstellt werden kann.»

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Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Wohnqualität und Baukosten

k3-2b

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Neutrale Tests bringen den Markt in Schwung

Man kann am Testverfahren, das in diesem Abschnitt beschrieben worden ist, zweifellos herumkritisieren. Die Autoren des Wohnungsbewertungssystems WBS selber geben sich betont vorsichtig und stellen allfällige Mängel auch keineswegs in Abrede. Nutzwertanalysen enthalten bekanntlich immer einen Schuss Willkür. Etwas muss man dem Bericht «Wohnbauten im Vergleich» aber zugestehen: Die Ergebnisse sind teilweise verblüffend, und vor allem sind sie in hohem Masse nützlich für den Markt. Neutrale Marktuntersuchungen schaffen Transparenz.


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