.

6.3 Mit dem Pflichtenheft sind die Baukosten weitgehend bestimmt

Es ist nicht allen Bauwilligen bewusst, dass mit dem Pflichtenheft der Investitionsrahmen für ein Bauprojekt weitgehend bestimmt ist. Dies gilt auch dann, wenn man noch gar nie über die Kosten gesprochen hat und somit gar keine Kostenangabe im Pflichtenheft steht. In diesem Fall sind die Kosten zwar nicht bekannt, aber trotzdem in der Höhe schon festgelegt. Während der Umsetzung des Pflichtenheftes (Raumprogramms) in ein Bauprojekt können sie nur noch in einer relativ engen Bandbreite beeinflusst werden.

In diesem Abschnitt befassen wir uns zunächst mit unterschiedlichen Methoden der Kostenangabe im Pflichtenheft: der Kostenlimite und der Kostenschätzung. Anschliessend fragen wir uns, welches Kostensparpotential bei der Projektdefinition besteht – falls überhaupt.

.

Kostenlimiten

Grundsätzlich soll die Bauherrschaft anstreben, im Pflichtenheft den zulässigen Investitionsbetrag vorzuschreiben, mit oder ohne Toleranzband. Der Idealfall ist die Kostenlimite. Sie darf, was immer auch passieren mag, nicht überschritten werden. Weniger verpflichtend ist das Kostenziel, das die Planer zwar anstreben sollen, bei dem aber ein gewisser Spielraum besteht (meist nach oben).

Einfache Fälle

Relativ genaue Kostenvorgaben kommen am ehesten bei weitgehend standardisierten Bauprojekten in Frage, wo die (sachkundige) Bauherrschaft auf Erfahrungswerte zurückgreifen kann. Dazu zählt namentlich das bedeutende Marktsegment des Wohnungsbaus.

Ein typisches Beispiel einer Kostenlimite findet man bei Alterswohnungen. Hier sind die Kosten sehr häufig begrenzt. Alterswohnungen werden nämlich vom Bund im Rahmen der Wohn- und Eigentumsförderung (WEG) nur dann unterstützt, wenn sie (neben vielen anderen Bedingungen) auch gewisse Kostenlimiten einhalten. Die maximalen Kosten sind somit festgelegt (sofern die WEG-Unterstützung beansprucht werden soll), bevor an einem Projekt der erste Strich gezeichnet ist.

Komplexe Fälle

Eine Kostenlimite kann auch bei komplexen Bauvorhaben festgelegt werden, wo für die Kosten oft keine Erfahrungswerte vorliegen. Die Limite wird ermittelt, indem man für die Bauaufgabe eine sogenannte Testplanung durchführt. Man arbeitet also zuerst ein Test-Vorprojekt aus und ermittelt anschliessend für dieses mit einer genügend genauen Methode (meistens der Elementmethode) die Kosten.

Testplanungen sind relativ aufwendig. Der Arbeitsaufwand ist vergleichbar mit der Ausarbeitung eines Vorprojektes. Das Verfahren wird gelegentlich bei Architektenwettbewerben angewendet, indem die Kostenlimite aus der Testplanung als Messlatte dient für die (kostenmässige) Beurteilung der Wettbewerbsbeiträge. Bei normalen Projektdefinitionen werden keine Testplanungen durchgeführt.

.

Grobkostenschätzungen

Sofern keine (verbindlichen) Limiten vorgegeben sind, werden die mutmasslichen Kosten im Rahmen der Projektdefinition in der Regel grob abgeschätzt. Basis dafür ist häufig das Raumprogramm. Das frühere Beispiel eines Verwaltungsgebäudes mit 38 Arbeitsplätzen zeigt, dass es zu einer Grobkostenschätzung nicht einmal Planskizzen braucht, sofern man über die notwendigen statistischen Unterlagen verfügt (siehe Abschnitt 6.2B «Beispiel Pflichtenheft Verwaltungsgebäude»; Absatz «Grobe Abschätzung der Anlagekosten»).

Wie genau sind Grobkostenschätzungen zum Zeitpunkt der Projektdefinition? Man kann zwei Arten von Unsicherheiten unterscheiden, die sich überlagern.

Unsicherheit 1

Zum Zeitpunkt der Projektdefinition sind viele kostenbeeinflussenden Randbedingungen und Anforderungen noch zuwenig genau bekannt. Dazu gehören etwa: Topographie, Erschliessung, Baugrund, Vorschriften der Behörden und dergleichen mehr. Auch das lokale Baukostenniveau ist eine recht grosse Unsicherheit.

Unsicherheit 2

Zusätzlich ist die Effizienz der planerischen Umsetzung der Vorgaben im Pflichtenheft ungewiss. Für ein gegebenes Raumprogramm sind sehr unterschiedliche Bauprojekte möglich. Die Kosten können daher, je nach der kostenmässigen Effizienz von Entwurf und Konstruktion, in einer gewissen Bandbreite schwanken.

Diese beiden Quellen der Unsicherheit führen dazu, dass Kostenschätzungen auf der Grundlage des Pflichtenheftes weniger genau sind als später auf der Basis des Bauprojektes. Je nach Bauaufgabe liegt die Genauigkeit bei +/- 15% bis +/- 25%, vielleicht sogar bei +/- 30%. Nur ein Teil dieser Unsicherheit ist durch die Planung beeinflussbar, nämlich der Entwurf und die Konstruktion. Der andere Teil hat Ursachen, die ausserhalb des Einflussbereiches von Planern und Bauherrschaft liegen.

.

Kann man bei der Projektdefinition Kosten sparen?

Wer sich an der industriellen Welt orientiert, wird diese Frage verneinen. Pflichtenhefte als Resultate der Projektdefinition sind in der Industrie anspruchsvolle Vorgaben für neue Marktleistungen. Sie haben viel mit Marketing und strategischen Entscheiden zu tun.

Wenn die Autofirma Mercedes ein Pflichtenheft für die Entwicklung eines neuen Modells der gehobenen Mittelklasse aufstellt, sind die Anforderungen marketingmässig sehr genau abgeklärt. Sparen an den Kernanforderungen des Pflichtenhefts kann man nicht, ohne das anvisierte Marktsegment zu verlassen. Es kommt beispielsweise überhaupt nicht in Frage, den sorgfältig dimensionierten Innenraum des Autos zu verkleinern oder den kräftigen Motor weniger leistungsfähig zu konzipieren. Ein Mercedes der C-Klasse mit einem Motörchen eines Kleinwagens ist kein Mercedes mehr. Sparen, und zwar mit aller Entschlossenheit, muss man an ganz anderen Orten: bei der Konstruktion, beim Einkauf, bei der Fertigung und vielen weiteren Dingen.

Ähnlich, wenn auch nicht ganz so radikal, ist es im Bauwesen. Das Pflichtenheft (Raumprogramm) ist definitionsgemäss als Vorgabe der Bauherrschaft zu betrachten. Dabei geht man von der Annahme aus, dass bei der Formulierung der im Pflichtenheft enthaltenen Wünsche die Kostenfolgen bekannt sind. Allerdings ist das nicht immer der Fall. Es kann somit tatsächlich die Gefahr bestehen, dass sich Wünsche ins Pflichtenheft einschleichen können, die nicht gewollt sind. Diese, aber nur diese sind Objekte von möglichen Einsparungen am Pflichtenheft. Schauen wir uns am Beispiel eines Einfamilienhauses eine zulässige und eine nicht zulässige Sparmassnahme näher an.

Beispiel 1

Wenn ein erfolgreicher Devisenhändler einer Bank (ein sogenannter GoldenBoy) für sein Einfamilienhaus eine Wohnhalle von 60 m2 will, ist das zwar gross, entspricht aber vermutlich den Ansprüchen dieses mit materiellen Gütern reich gesegneten Bauherrn. Selbstverständlich kann man einen Wohnraum kleiner machen. Das Wohnzimmer der Mietwohnung des Autors beispielsweise ist nur rund 15 m2 gross. Wir dürfen aber nicht von einer Sparmassnahme sprechen, wenn wir die Wohnhalle des Devisenhändlers verkleinern möchten: Es ist vielmehr eine Aufforderung, von seinem angestrebten Wohnstandard abzurücken.

Beispiel 2

Etwas anders gelagert ist die Frage, ob für ein Einfamilienhaus eine Unterkellerung nötig ist. Vielfach wird dies, ohne dass man sich viel dabei denkt, eher gewohnheitsmässig so gewünscht. Wohnhäuser sind aber sehr gut ohne Keller denkbar. In Holland etwa, wo der Grundwasserspiegel fast überall sehr hoch ist, baut man Wohnhäuser ohne Keller. In unseren Breitengraden könnte man sich dies, als Sparmassnahme, durchaus ebenfalls überlegen. Der Keller ist nämlich vielfach nicht aufgrund klarer Bedürfnisse, sondern nur der Macht der Gewohnheit folgend ins Raumprogramm gerutscht.

Aus dem zweiten Beispiel kann man lernen, wie ein Pflichtenheft abzufassen ist. Es soll nach Möglichkeit so formuliert werden, dass die bauliche Lösung damit nicht präjudiziert wird. Man darf also nicht verlangen, dass das ganze Gebäude zu unterkellern sei, wenn ein Keller nicht ausdrücklich verlangt ist. Typische Kellerfunktionen wie Heizen, Waschen und dergleichen können durchaus auch ausserhalb eines Kellers untergebracht werden.

Spezialfall öffentliche Hand

Es gibt einige wichtige Ausnahmen zum oben formulierten Prinzip, dass man am Pflichtenheft (Raumprogramm) nicht sparen könne. Die wohl bedeutendste betrifft die Bauvorhaben der öffentlichen Hand. Oeffentliche Bauten zeichnen sich dadurch aus, dass es unterschiedliche Personen sind, die bestellen und bezahlen. Die Nutzer (Beamte, Kommissionen, Politiker etc.) bestellen, die Steuerzahler bezahlen. Es liegt auf der Hand, dass Besteller, die nicht ihr eigenes Geld ausgeben, oft nicht allzu stark auf die Kosten schauen. Es ist daher bei vielen öffentlichen Bauvorhaben möglich, das Raumprogramm zu straffen oder die qualitativen Anforderungen zu reduzieren.

.

6.4 Einige Spezialfragen

Bei unübersichtlichen, schwierigen Ausgangslagen werden häufig externe Spezialisten beigezogen, um Bauprojekte zu definieren. Typische Fälle sind Industriebauten, Spitäler, grosse Dienstleistungsgebäude und dergleichen mehr. Im folgenden gehen wir auf einige spezielle Aspekte der Projektdefinition ein, wobei wir uns primär auf industrielle Bauvorhaben konzentrieren. Im Zentrum stehen die Fragen, was die Erstellung von Pflichtenheften kostet und welchen Nutzen sie für die Bauherrschaft haben.

.

Zusammensetzung von Teams für die Projektdefinition (Beispiel Industriebau)

Industrielle Bauprojekte werden meistens von Planungsteams definiert, die aus internen und externen Fachleuten bestehen. Diese Zusammensetzung ist sehr vorteilhaft. Die internen Fachleute der Bauherrschaft kennen die betrieblichen Abläufe sehr genau. Die externe Verstärkung, die im Minimum nur aus einem Planungsgeneralisten besteht, bringt das planerische Handwerk ein. Dadurch entsteht eine potente Mischung von internem Prozesswissen und externem Methodenwissen. Der externe Berater leitet und moderiert das Projekt. Zusätzlich kümmert er sich um viele zeitaufwendige Arbeiten (Planunterlagen erstellen, Auswertungen durchführen, Berichte verfassen etc.).

Sehr gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, wenn die grundlegenden konzeptionellen Arbeiten ganz am Anfang eines Projektes von einem sehr kleinen Team geleistet werden. Dieses setzt sich bei einem Industrieprojekt im Idealfall nur aus der zentralen Person des Fertigungsprozesses (Fabrikdirektor, Produktionsleiter) und einem aussenstehenden Generalisten zusammen. Um diesen Kern herum kann mit fortschreitendem Projekt nach und nach eine grössere Projektorganisation aufgebaut werden.

.

Richtwerte für die Kosten von Projektdefinitionen (Beispiel Industriebau)

Die nachfolgenden Richtwerte für die Planungskosten in der Phase der Projektdefinition beziehen sich auf industrielle Projekte. Sie basieren auf Erfahrungen der Firma des Autors und sind als grobe Anhaltspunkte zu verstehen. Der zeitliche Aufwand hängt neben der Art des Projektes unter anderem von der verfügbaren Zeit ab (grosser Zeitdruck wirkt sich in der Regel dämpfend auf die Kosten aus) und von der Methode der Projektdokumentation (Aktennotizen sind schneller erstellt als Berichte).

A. Komplexe Industrieprojekte

Eine industrielle Projektdefinition ist dann als komplex einzustufen, wenn bei grösseren Unternehmen (ab etwa 400 Personen mit teilweise mehreren Standorten) auf weiträumigen Firmenarealen die gesamte Produktion optimiert und neu angeordnet werden soll. Manchmal muss zudem ein Masterplan erstellt werden als Leitbild für die langfristige Raumnutzung.

Derartige komplexe Planungen können Monate dauern und aus verschiedenen Phasen bestehen. In einer ersten Phase geht es beispielsweise um die Neustrukturierung der Fertigung und die Erarbeitung des Masterplans und in einer zweiten um die eigentliche Definition des Bauprojektes. Bei einem Investitionsvolumen von 10 bis 12 Mio. Fr. kann als grobe Näherung mit (externen) Planungskosten von 60 000 bis 80 000 Fr. gerechnet werden (Richtwert: 0.6% der Anlagekosten).

B. Einfache Industrieprojekte

Ein Projekt ist dann als einfach einzustufen, wenn das Feld der möglichen Lösungen nicht allzu gross ist. Ein Beispiel dafür ist eine Fabrikerweiterung, wo die geometrischen Abmessungen aufgrund der räumlichen Randbedingungen gegeben sind oder wo ein vorhandener Masterplan die Planung erleichtert. Bei einem Investitionsvolumen von 2 bis 3 Mio. Fr. betragen die (externen) Planungskosten etwa 15 000-20 000 Fr. Bei grösseren Projekten (10 bis 15 Mio. Fr.) dürften es etwa 40 000 Fr. sein (Richtwert: 0.4% der Anlagekosten).

C. Bürogebäude

Pflichtenhefte für Verwaltungsgebäude sind weniger aufwendig als die oben genannten Industrieprojekte. Bei Anlagekosten von angenommen 5 Mio. Fr. betragen die (externen) Kosten für die Erstellung des Pflichtenheftes etwa 15 000-20 000 Fr. (Richtwert 0.3% der Anlagekosten).

.


Richtwerte für die externen Kosten der Projektdefinition
(Angaben in Prozenten der Anlagekosten; ohne internen Aufwand)

Industrielle Bauvorhaben, Fabriken
— komplexe Projekte: 0.6 %
— einfache Projekte: 0.4 %

Bürogebäude und ähnliche Projekte: 0.3 %


.

Die oben angegebenen Richtwerte für die externen Planungskosten beziehen sich auf ein gemischtes Planungsteam, wie ich es im einleitenden Abschnitt geschildert habe. Die Kosten der externen Beratung können noch weiter minimiert werden, indem ein externer Spezialist nur als sogenannter Spontanberater für einige wenige Arbeitssitzungen beigezogen wird und der Auftraggeber den grössten Teil der Arbeit selber leistet.

.

Vom Nutzen einer soliden Projektdefinition

Eine gute Projektdefinition ist viel wert. Meiner Ansicht nach ist es eine der am besten angelegten Ausgaben beim Bauen überhaupt, wenn die Aufgabe am Anfang genügend breit und tief analysiert wird. In meiner langen Tätigkeit als Bauherrenberater habe ich es oft erlebt, dass die Bauherrschaft durch eine fehlende oder unsorgfältige Projektdefinition später zu Schaden gekommen ist.

Beispiel 1

Bei einem Industrieunternehmen in Deutschland hat ein Planungsteam die Aufgabe, die auf mehrere Standorte verteilte Produktion neu zu strukturieren. Dabei wird insbesondere auch das Ziel angestrebt, die Nutzung der verschiedenen Standorte langfristig optimal zu ermöglichen. Zu diesem Zweck wird überall ein Gesamtbebauungsplan (Masterplan) erstellt.

Bei der Analyse des Ist-Zustandes fällt dem Team am Hauptstandort sofort ein Störobjekt auf. Genau an die Stelle mit den besten baulichen Erweiterungsmöglichkeiten ist beim letzten Ausbauschritt ein neckisches kleineres Gebäude hingepflanzt worden. Leider ist es nicht eine leichte Stahlkonstruktion gewesen, sondern ausgerechnet ein bunkerähnliches Akustiklabor mit massiven, tonnenschweren Betonkonstruktionen.

Sie werden erraten, wie es herausgekommen ist. Das neueste Bauwerk, mit viel Geld vor 15 Jahren erstellt, hat als erstes wieder abgebrochen werden müssen. Mehr der Not als der Vernunft gehorchend, hat man das Objekt damals an die fatale Stelle gesetzt. Mit einer umfassenderen Vorbereitung hätte man vermutlich eine zukunftsträchtigere Lösung gefunden und im Endeffekt viel Geld gespart. – Anders ausgedrückt: Eine mangelhafte Projektvorbereitung kann sehr teuer werden.

Beispiel 2

Bei der Planung für ein innerstädtisches Industriegelände wird das Problem der Parkplätze zuwenig seriös abgeklärt. Im Verlauf der späteren Planung zeigt es sich, dass ein Parkhaus erstellt werden muss, was bisher nicht vorgesehen gewesen ist. Die mangelhafte Abklärung führt zu einer Zusatzausgabe von mehreren Millionen Franken.

Alle Fehler, die im Rahmen der Projektdefinition von Bauvorhaben gemacht werden, rächen sich irgend einmal. Scheinbar belanglose Unsorgfältigkeiten können unerwartete Auswirkungen haben.

Beispiel 3

Während der Projektvorbereitung werden die mutmasslichen Kosten für eine grosse Montagehalle krass unterschätzt: Die effektiven Kosten sind mehr als doppelt so hoch als die ursprüngliche Annahme. Allerdings kommt die Wahrheit erst Monate später, kurz vor der Baueingabe, auf den Tisch. Zu diesem Zeitpunkt ist der Handlungsspielraum der Bauherrschaft nur noch beschränkt. Sie muss sich darauf beschränken, die Faust im Sack zu machen. Das Projekt abblasen geht nicht, und einsparen kann man auch nicht mehr viel. Hätten die Auftraggeber die Wahrheit früher gewusst, hätten sie vielleicht die Weichen ganz anders stellen können.

Meiner Ansicht nach steht und fällt eine Projektdefinition mit dem Projektleiter. Es muss ein echter Generalist sein. Er muss das Planen und Bauen in seiner Gesamtheit verstehen. Die meisten Fehler lassen sich zwar immer auf Mitglieder des Projektteams abschieben, aber es gehört zu den Aufgaben des Projektleiters, mögliche Fehler zu ahnen und zu vermeiden. Ohne ein gerütteltes Mass an Erfahrung und Intuition geht das nicht.

.

Nicht zuviel Hektik bei der Projektdefinition

Hinsichtlich der Dauer der Phase der Projektdefinition ist ein Blick in die industrielle Welt aufschlussreich. Es fällt auf, dass in der Industrie die Grundlagenphase ( = Phase vor der Abfassung des Pflichtenheftes) meistens deutlich länger dauert als die anschliessende eigentliche Produktentwicklung.

Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung einer neuen PC-Generation durch die Firma Compaq Ende der achtziger Jahre (Quelle: Boutellier / Gassmann, in: io Management, Zürich, Nr. 12/1996, Seite 68 ff.). Für die Marktabklärungen und die Beherrschung der Technologie benötigt die Firma 2 Jahre. Ergebnis dieser Grundlagenphase ist das Pflichtenheft. Die eigentliche Produktentwicklung bis zur Markteinführung des neuen Produkts dauert dann nur noch neun Monate.

Die Grundlagenphase ist in der Industrie unter anderem darum so lang, weil sie stark von kreativen Prozessen abhängt und diese in der Regel nicht steuerbar sind: Kreativität braucht ihre Zeit. Im Gegensatz dazu ist die Phase nach dem Pflichtenheft einem straffen Projektmanagement eher zugänglich.

Obwohl die Verhältnisse im Bauwesen wesentlich verschieden sind von der Industrie, können wir doch etwas lernen: Es lohnt sich, die Grundlagenphase nicht allzu hektisch anzugehen und das Pflichtenheft seriös zu erarbeiten. Im Unterschied zur High-Tech-Industrie geht es im Bauwesen weniger um das Beherrschen neuer Technologien als um vertiefte Marktabklärungen, genaue Spezifikationen von Nutzerbedürfnissen und zuverlässige Vorgaben von Kosten. Ob ein Projekt ein Erfolg wird, entscheidet sich zu einem guten Teil in der Grundlagenphase.

.

Pflichtenheft «einfrieren»

Auch bei einem weiteren Aspekt der Projektdefinition kann das Bauwesen von der Industrie lernen: Pflichtenhefte sollen nach der Genehmigung nach Möglichkeit nicht mehr geändert werden. Während der Projektausarbeitung tauchen nämlich erfahrungsgemäss laufend gutgemeinte Vorschläge auf, wie das Pflichtenheft abgeändert werden könnte. Die Bauherrschaft soll diesbezüglich jedoch zurückhaltend ein. Im Unterschied etwa zu Software-Projekten stürzen im Bauwesen durch ständig ändernde Vorgaben Projekte zwar nicht gerade ab, aber zeitliche Verzögerungen, Unruhe und zusätzliche Kosten sind in jedem Fall zu erwarten.

Bei Bauvorhaben soll die Projektleitung als Nadelöhr wirken, um die Projektarbeit vor unnötiger Improvisation infolge geänderter Spezifikationen zu schützen. Im Bauwesen ist diese Disziplin besonders wohltuend, weil sich im Laufe seiner Geschichte geradezu eine Kultur des jederzeitigen Aenderns entwickelt hat. Ein Indiz dafür ist das Werkvertragsrecht im Bauwesen, das dem Besteller ein sehr weitgehendes Recht auf Aenderungen zugesteht, und zwar beim traditionellen Architektenverfahren mit Einzelunternehmern (SIA-Norm 118) wie beim Generalunternehmer-Werkvertrag.


Zurück | Weiter

Inhaltsverzeichnis