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9.3A Der Entwurf

Ein guter Entwurf ist eine kreative Leistung hoher Güte. Wenn zusätzlich noch die Kosten stimmen, kann man von einem gelungenen Bauprojekt sprechen. Ein kritischer Blick auf unsere gebaute Umwelt zeigt allerdings, dass derartige Sternstunden der Architektur selten sind. Vorherrschend sind zum kleineren Teil sogenannte «Architektendenkmäler», wo auf die Kosten kaum Rücksicht genommen wird, mehrheitlich aber unsorgfältige Dutzendware ohne gestalterische Ansprüche – die teilweise erst noch teuer ist.

In diesem Abschnitt fragen wir uns zunächst, wodurch sich ein kostenoptimierter Entwurf überhaupt auszeichnet. Wir finden zwei Hauptmerkmale: ein ökonomisches Grundkonzept und eine konsequente Einfachheit. Nach einem kurzen Exkurs in die Architekturgeschichte gehen wir weiter darauf ein, was die Bauherrschaft zu einem kostengünstigen Entwurf beitragen kann.

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Merkmal 1: ökonomisches Grundkonzept

Es gibt viele Wege, wie ein Raumprogramm in ein Stück Architektur umgesetzt werden kann. Dabei ist es durchaus möglich, dass eine ganze Reihe von Entwürfen vergleichbare Nutzungsmöglichkeiten bieten. Ihre Baukosten jedoch können höchst unterschiedlich sein. Ein Entwurfskonzept, das den angestrebten Nutzen mit möglichst geringen Kosten erfüllt, wollen wir als ökonomisches Grundkonzept bezeichnen. Die Planer finden das ökonomische Grundkonzept vermutlich nicht gleich auf Anhieb. Es braucht eine gewisse Zeit des Reifens und Pröbelns dazu. Aber dieser planerische Effort zahlt sich aus, denn ganz am Anfang ist das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag sehr günstig.

Typisches Merkmal eines ökonomischen Grundkonzeptes ist ein hoher Anteil der Nutzflächen an den Gesamtflächen. Bei einem technischen Gerät würde man von einem guten Wirkungsgrad sprechen. Ein elektrischer Motor ist dann ökonomisch, wenn die Nutzleistung möglichst hoch ist und die Blindleistung klein. Im übertragenen Sinn geht es auch beim Bauen darum, die «Blindleistung» auf das Minimum zu reduzieren.

Ein Beispiel

Stellen wir am Beispiel eines Industriegebäudes einige Überlegungen an, wie das ökonomische Grundkonzept aussehen könnte. Industrielle Bauprojekte zeichnen sich dadurch aus, dass oft sehr unterschiedliche Raumtypen verlangt werden. Die Produktion benötigt grossflächige, hallenartige und vielfach ebenerdige Räume. Die Verwaltung dagegen bevorzugt kleine Räume (Büros), die zudem problemlos aufeinandergestapelt werden können. Beim Entwurf geht es nun darum, für das Raumprogramm ein sinnvolles bauliches Konzept zu finden. Die Abbildung zeigt zwei mögliche Grundvarianten, Variante A und Variante B. Welche kommt dem ökonomischen Grundprinzip näher?

Die Erfahrung zeigt, dass es im allgemeinen wesentlich günstiger ist, die Büros neben der Produktion anzuordnen (Var. A), entweder angebaut oder freistehend. So können beide Gebäudetypen konstruktiv optimiert werden, die Produktionshalle wie die Büros. Das ökonomische Grundprinzip dürfte also beim Konzept der Trennung zu finden sein.

Aus bautechnischen Gründen können die Büros zwar ohne weiteres auf die Halle gestellt werden (Var. B). Das hat aber seinen Preis. Grossflächige Bürolandschaften sind teurer als zeilenförmige, gestapelte Büros. Der Aufwand für die natürliche Belichtung (Lichthöfe, Oblichter etc.) ist gross. Auch die darunter liegende Produktionshalle muss für die zusätzlichen Lasten aufwendiger und teurer als nötig konzipiert werden.

Manchmal kommt allerdings auch ein kostenbewusster Architekt nicht darum herum, die Büros über der Produktionshalle anzuordnen, insbesondere dann, wenn eine knappe Grundstücksfläche gar keine andere Wahl lässt. Derartige Lösungen können architektonisch ausgesprochen reizvoll sein. Man findet davon in der Schweiz diverse gute Beispiele. Aber sie sind nicht ganz billig. Normalerweise entsprechen sie nicht dem, was wir als ökonomisches Grundprinzip bezeichnen.

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Die Suche nach dem ökonomischen Grundkonzept

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Merkmal 2: konsequente Einfachheit

Oekonomische Lösungen sind normalerweise einfach. Einfachheit muss aber errungen werden. Sie ist das Resultat beharrlicher Planungsarbeit. Leider sieht man einer einfachen Lösung die harte Arbeit nicht an. Man kann das Einfache leicht mit dem Trivialen oder Banalen verwechseln. Trivial ist eine Lösung dann, wenn es sich die Planer zu einfach machen.

Einfachheit als Merkmal eines kostengünstigen Entwurfs zeigt sich in erster Linie bei der Gebäudegeometrie. Die Gestaltung des Gebäudes folgt im Grundriss wie im Schnitt einem einfachen Grundprinzip. Der Grundriss ist regelmässig und weist nur wenige freie Formen auf. Im Schnitt betrachtet, sind die Geschosse durchgehend und nicht kompliziert gegeneinander versetzt. Das Tragwerk basiert auf einem regelmässigen statischen System mit vernünftig dimensionierten Stützweiten. Die Fassaden sind zurückhaltend gestaltet mit wenigen Vor- und Rücksprüngen. Falls die Dächer geneigt sind, zeichnen auch sie sich durch einfache Formen aus.

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Das Lory-Spital von Salvisberg und Brechbühl in Bern (1927 bis 1929) 

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Einfachheit wirkt sich auch bei der Gebäudetechnik in geringen Kosten aus. Die gebäudetechnischen Anlagen sind so konzipiert, dass der angestrebte Nutzen mit einem möglichst geringen materiellen Aufwand erreicht werden kann. Mittel dazu sind unter anderem eine sinnvolle Anordnung der installationsintensiven Zonen (Sanitärkerne etc.) sowie eine optimale Konzeption der Medienverteilung.

Jauchzer der Lebensfreude

Gewisse Ausnahmen zum Einfachen sind selbstverständlich erlaubt. Werke aus Meisterhand zeichnen sich vielfach gerade dadurch aus, dass dosiert angewendete «Störungen» in einem ansonsten sehr zurückhaltenden Gesamtaufbau eine ungeheure Dramatik entwickeln. Ein gutes Beispiel ist das Quartierzentrum Wipkingen in Zürich (Architekten Vogelsanger und Maurer; 1930 bis 1932). In einem Sachbuch wird das runde Türmchen als «startbereite Rakete» und «kleiner expressionistischer Jauchzer der Lebensfreude» bezeichnet (Dr. Martin Geiger, in: Neues Bauen in der Schweiz, Seite 165, Band 1, Herausgeber Schweizer Baudokumentation, Blauen, 1985). Einen ähnlichen Effekt haben die auskragenden Hörsäle beim Institutsgebäude von Salvisberg und Brechbühl in Bern. Mit diesem bescheidenen gestalterischen Mittel wird der an und für sich schlichten Fassade mit umlaufenden Fensterbändern eine dramatische Wirkung verliehen, die man kaum mehr vergisst.

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Quartierzentrum Wipkingen

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Die triste Realität

Eine nüchterne Betrachtung unserer gebauten Umwelt zeigt schnell, dass das Einfache (mit oder ohne Jauchzer der Lebensfreude) keineswegs der Normalfall ist in der Architektur. Viel zu oft findet man das unnötig Komplizierte und somit die Verschwendung, häufig zudem noch gepaart mit Hässlichkeit.

Die nachfolgend dargestellten Beispiele von Dachformen im Wohnungsbau sind Belege für diese Behauptung. Das Dach mit winkelförmigem Grundriss im Beispiel 1 erscheint vielen Leuten zwar als gefällig, es ist aber so aufwendig, dass es ein ausgezeichnetes Gesellenstück abgibt für Zimmermann, Spengler und Dachdecker. Bei den Beispielen 2 bis 4 orientieren sich die Architekten am traditionellen Krüppelwalmdach, welches man etwa auf Bauernhausstöcklis findet. Es steht Pate für eine angebaute Garage (Nr. 2), für zwei zusammengebaute Einfamilienhäuser (Nr. 3) und sogar für Reihenhäuser (Nr. 4). Insbesondere bei den zwei letzten Beispielen bekommen zünftige Architekten, selbst wenn sie kein besonders ausgeprägtes gestalterisches Gewissen haben, ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.

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Exkurs: Das Neue Bauen

Die oben dargelegten zwei Merkmale kostengünstiger Entwürfe stimmen zu einem grossen Teil überein mit den Postulaten einer überaus wichtigen Architekturströmung vom Beginn dieses Jahrhunderts: dem Neuen Bauen. Mit dieser Bewegung ist die bis anhin vorherrschende geschichtsorientierte Architektur radikal in Frage gestellt worden. Es lohnt sich daher, einen kurzen Streifzug in die Vergangenheit zu unternehmen und uns in Form eines Exkurses etwas näher mit der klassischen Moderne zu beschäftigen.

Vorläufer und Wegbereiter für das Neue Bauen sind zumeist Ingenieure gewesen. Bei grossen Hallen und anderen Ingenieurbauwerken (z. B. Eiffelturm) haben sie die Anwendungsmöglichkeiten von neuartigen Baumaterialien wie Beton und Stahl erprobt. Mit der Zeit ist eine Avantgarde von Architekten auf die innovativen, schnörkellosen Gestaltungsmöglichkeiten aufmerksam geworden. Der neue Stil, der sich dabei nach 1900 allmählich herausgebildet hat, kann als gültiger Ausdruck der sich kraftvoll entwickelnden zweiten industriellen Revolution betrachtet werden.

Faszination Industrie

In formaler Hinsicht hat sich das Neue Bauen durch drei zentrale Prinzipien ausgezeichnet: (1) durch geometrisch einfache, vielfach rechtwinklige Formen, (2) durch das Flachdach und (3) durch den Verzicht auf Ornamente. Die Faszination der Industrie hat aber nicht nur Auswirkungen auf die formale Gestaltung gehabt, sondern alle Aspekte des Planens und Bauens beeinflusst. Vorfabrikation und Typisierung haben eine Blütezeit erlebt. Ein interessantes Beispiel dafür ist im Jahr 1926 in Frankfurt die Entwicklung der Einbauküche durch die grosse österreichische Architektin Margarete Schütte-Lihotzky gewesen. Mit der Stoppuhr in der Hand, so will es die Geschichte, habe die Architektin die Arbeitsabläufe in der Küche rationalisiert. Die Prinzipien der wissenschaftlichen Betriebsführung (Scientific Management), von Frederick Taylor um 1900 in der Stahlindustrie entwickelt, hat sie auf die gewöhnliche Hausküche angewendet. Resultat ist ein Jahrhundertwurf in Sachen Typisierung gewesen, der sich bis heute nicht massgeblich verändert hat.

Motive

Antriebskraft für die Entwicklung der sachlichen, ballastfreien Architektur ist jedoch nicht ausschliesslich die Technikbegeisterung an und für sich gewesen, sondern ebenso ein Engagement für gesellschaftliche und politische Werte. Viele Architekten des Neuen Bauens haben sich in linken Parteien betätigt.

Das Ende des Neuen Bauens ist denn auch folgerichtig eingeläutet worden durch das Aufkommen von totalitären und faschistischen Strömungen in vielen Ländern Europas. Ein Regime wie das Dritte Reich beispielsweise hat die demokratische Grundhaltung des Neuen Bauens nicht ertragen können und hat statt dessen neoklassizistischen Protz bevorzugt. Das Neue Bauen ist ausgewandert: nach Amerika.

Neues Bauen in der Schweiz

Die konservative Schweiz ist für das Neue Bauen natürlich nicht der ideale Nährboden gewesen. Dieser schnörkellose, internationale Stil hat eine Bedrohung für die heimelige, traditionsbehaftete Architektur dargestellt. Die Heimatschützer sind Sturm gegen das Neue Bauen gelaufen und sind beispielsweise nicht davor zurückgeschreckt, das Flachdach als Inbegriff des Bolschewismus zu erklären.

Einige der Perlen des Neuen Bauens in der Schweiz sind in diesem Buch abgebildet. Es kann sich durchaus lohnen, bei ihnen Anregungen für eine sparsame, zurückhaltende Architektur zu holen.

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Universitätsgebäude von Salvisberg und Brechbühl in Bern (1930–1931)

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Was die Bauherrschaft zu einem kostengünstigen Entwurf beitragen kann

Kehren wir nach diesem Exkurs über das Neue Bauen zum Thema des kostengünstigen Entwurfs zurück und fragen uns, was die Bauherrschaft dazu beitragen kann. Ihre Hauptaufgabe ist die kritische Begleitung der Entwurfstätigkeit. Zusammen mit den Planern wirkt sie an der Beurteilung der Zwischenresultate mit. Gemeinsam mit ihnen legt sie anschliessend Ziele und Randbedingungen für die weitere Bearbeitung fest. Die Bauherrschaft hat somit erhebliche Möglichkeiten, das Projekt in die richtige Richtung zu lenken.

Mit Varianten die noch bessere Lösung finden

Die Bauherrschaft soll sich nicht mit der erstbesten Lösung zufriedengeben. Nicht alle Architekten schätzen es allerdings, Varianten zu untersuchen. Einige sind zu schnell festgefahren auf eine Lösung, die zwar rein formal nicht schlecht sein muss, der aber die beharrliche Suche nach dem wirtschaftlichen Optimum abgeht. In meiner Tätigkeit als Projektmanager bin ich schon mehrmals auf hochgradig selbstbewusste Architekten gestossen, die sich dagegen gesträubt haben, unterschiedliche Lösungen zu verfolgen: Es gebe nur eine gültige Lösung, und diese hätten sie schon. Eine weitere Suche erübrige sich somit. (Ich kann mich an einen Fall erinnern, wo sich die Bauherrschaft dann entschlossen hat, einen etwas flexibleren Partner zu suchen.) – Die Bauherrschaft tut gut daran, auf einer umfassenden Sicht der Dinge zu beharren. Die erste Lösung ist selten die beste.

Am Stellenwert des Variantenstudiums zeigt sich ein typischer Mentalitätsunterschied von Ingenieuren und Architekten. Bei Ingenieuren aller Gattungen gehört eine gewisse Systematik traditionell zur Arbeitsmethodik. Das erste, was ein Betriebsingenieur beispielsweise in seinem Studium lernt, ist Systemtheorie (Systems Engineering). Diese Grundlage ist ausgesprochen wichtig, denn die industrielle Welt ist geprägt von systematischem Denken. Systematisch zu geht es bei der Entwicklung neuer Marktleistungen (mit Innovationstechniken), bei der Auswahl der besten Lösung (mit Entscheidungstechniken) oder bei der kostenmässigen Optimierung von Lösungsansätzen (mit der Wertanalyse).

Diese Liebe zur Systematik geht Architekten vielfach ab. Als Architekt, der zugleich Ingenieur ist, spreche ich aus reicher persönlicher Erfahrung.

Auf genügend genaue Kostenermittlung achten

Wenn man die Kosten verschiedener Projektvarianten in einer frühen Projektphase beurteilen will, braucht es genügend genaue Instrumente. Nehmen wir an, dass die Kosten unterschiedlicher Baukonzepte etwa 10 bis 15% voneinander abweichen können. Um das günstigste Konzept herauszufinden, reicht ein Messinstrument mit einer Genauigkeit von angenommen 25% kaum. Schätzungen über den Kubikmeterpreis, die vielfach etwa diese Präzision liefern, sind daher in vielen Fällen zuwenig genau. Besser geeignet ist z. B. die Kostenermittlung mit der Elementmethode (siehe Abschnitt 10.2B «Kostenermittlung nach Bauteilen / Elementmethode»).

Ein kreatives Klima schaffen

Ein grosser Teil der Architekten wird im Brustton der Überzeugung argumentieren, dass ihr Berufsstand der Inbegriff der Kreativität sei. Kreativität sei daher so ziemlich das Letzte, was sie von der Bauherrschaft erwarteten. Das Problem ist lediglich, dass sich die Kreativität der Architekten zu einem grossen Teil auf die formale Gestaltung beschränkt und weniger auf die kostenmässige Optimierung. Ein kreativer Impuls der Bauherrschaft ist daher möglicherweise trotzdem ganz nützlich.

Selbstverständlich kann von der Bauherrschaft nicht erwartet werden, Fachwissen einzubringen, das den Planern fehlt. Aber sie kann Dinge tun, die ein kreatives Arbeitsumfeld schaffen. Dazu gehört alles, was die Planer veranlassen kann, aus festgefahrenen Verhaltensweisen auszubrechen und neue Wege zu suchen.

Die Bauherrschaft kann beispielsweise Besichtigungen von ausgeführten Bauten anregen, die in kostenmässiger Hinsicht vorbildlich sind. Nützlich sind auch informelle Planungsbesprechungen ohne Traktandenliste, dafür mit kritischen (auch branchenfremden) Geistern, die Denkanstösse geben können. Höchst kreativ sind ferner Anlässe, die aus irgendeinem Grund ungewöhnlich sind: ein abendlicher Apéro, eine gemeinsame sportliche Betätigung (Joggen, Golf, Bergtour etc.) und viele weitere mehr. Schon oft habe ich erlebt, dass Durchbrüche bei anspruchsvollen Projekten anlässlich solcher Gelegenheiten erfolgt sind.

Keinesfalls soll sich die Bauherrschaft bei der Ausarbeitung von Bauprojekten nur darum zurückhalten, weil sie sich fachlich nicht für kompetent hält. Im Gegenteil ist es so, dass Dilettantismus bei der kreativen Lösungssuche ein Vorteil ist. Es gibt genügend bahnbrechende Erfindungen auf dieser Welt, die von Autodidakten und Dilettanten gemacht worden sind. Wer an dieser Behauptung zweifelt, lese ein Buch des Schweizer Kreativitätsforschers Gottlieb Guntern.

Ein kreatives Klima kann entstehen durch kritische Fragen, dilettantische Anregungen, abenteuerliche Versuche, gewagte Analogieschlüsse und viele weitere Dinge mehr. Die kostenbewusste Bauherrschaft soll zu diesem Klima beitragen, um unter der Staubschicht des Gewöhnlichen die interessantesten Ansätze für preisgünstige und gleichwohl hochwertige Lösungen zu finden. Es gibt viele.

«Es gibt mehr Ding‘ im Himmel und auf Erden,
als unsere Schulweisheit sich träumen lässt.»
(Shakespeare)

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9.3B Die Konstruktion

Die Weiterentwicklung eines Entwurfs im Hinblick auf die Ausführung wollen wir als Konstruktion bezeichnen. Ähnlich wie beispielsweise im Automobilbau ist das kostenoptimale Konstruieren sehr anspruchsvoll und umfasst eine Vielzahl an Einzelmassnahmen. Weil die Konstruktion weitgehend das Feld der Fachleute ist, begnügen wir uns mit einigen wenigen Hinweisen auf die wichtigsten Prinzipien. Viel beitragen kann hier die Bauherrschaft nicht.

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Prinzip 1: Teile und Arbeitsgänge reduzieren

Die Reduktion der Teile ist ein sehr mächtiges Prinzip, um Kosten zu sparen. Es ist viel wichtiger als beispielsweise die Wahl eines günstigen Materials. Kostenbewusst konstruieren heisst in erster Linie, teure Arbeitsstunden zu vermeiden, indem man ganze Arbeitsgänge weglässt. &endash; Das Grundprinzip der Beschränkung der Teile und Arbeitsgänge lässt sich unter folgenden zwei Blickwinkeln betrachten:

A. Einfachheit in der Geometrie

Das im letzten Abschnitt angesprochene Prinzip der Einfachheit im Entwurf (Seite 185 ff.) hat direkte Auswirkungen auf die Konstruktion. Jede Ecke weniger bei Fassaden oder Dächern bedeutet einige Arbeitsgänge weniger und im Endeffekt somit geringere Kosten. Ein Knick um 90 Grad in einem gewöhnlichen Satteldach beispielsweise ist auf dem Papier sehr schnell gezeichnet. Die Auswirkungen auf die Kosten sind aber beträchtlich. Dutzende von zusätzlichen Arbeitsgängen sind die Folge, für Zimmermann, Spengler und Dachdecker.

In der Praxis dürfte eine einfache, schnörkellose Geometrie die effizienteste Form des Kostensparens überhaupt sein, die zudem zu keinerlei Einbussen in der Nutzung führt. Sie ist ausschliesslich die Frucht einer geistigen Anstrengung.

B. Verkleidungen weglassen

Hier spart man Arbeitsgänge, indem man eine traditionell übliche Verkleidung einfacher ausführt oder ganz weglässt. Eine Kalksandsteinwand wird beispielsweise nur gestrichen statt verputzt. In einem Bürogebäude lässt man die abgehängte Decke weg. Im Extremfall verzichtet man im Badezimmer sogar auf die Plättli.

Diese Methode ist eine zwiespältige Art des Sparens. Wenn man alles rechnet, spart man vielfach weniger, als man auf den ersten Blick annimmt. Und wenn man tatsächlich etwas spart, handelt man sich spürbare Abstriche bei der Qualität ein. Beispielsweise ist kaum eine Verkleidung so reinigungsfreundlich wie Plättli im Badezimmer. Im Unterschied zur oben genannten Variante A (Einfachheit in der Geometrie) ist das Weglassen von Verkleidungen also unter Umständen mit nutzungsmässigen Nachteilen verbunden.

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Prinzip 2: Kostengünstige Ausführungsarten wählen

Bei vielen Bauteilen wie Decken, Wänden, Dächern oder Fenstern besteht ein erheblicher Spielraum, wie sie im Detail ausgeführt werden sollen. Oft stehen mehrere Materialien zur Auswahl, die meist noch unterschiedlich angewendet werden können. Beim zweiten Prinzip der kostengünstigen Konstruktion geht es darum, jene Ausführungsart zu wählen, welche die Anforderungen mit den geringsten Kosten erfüllt.

Typisches Beispiel eines Bauteils, für das es eine ganze Reihe ähnlicher Ausführungsarten gibt, ist eine massive Aussenwand im Wohnungsbau. Das Spektrum der Möglichkeiten umfasst unter anderem folgende Konstruktionen:

  • Zweischalenmauerwerk
  • Mauerwerk mit verputzter Aussenisolation
  • Mauerwerk mit äusserer Verkleidung (Eternit, Holz etc.)
  • Einsteinmauerwerk aus Backstein, Gasbeton etc.

Es ist zu berücksichtigen, dass die Leistungsmerkmale dieser Ausführungsarten meistens unterschiedlich sind (bauphysikalische und statische Eigenschaften, Dauerhaftigkeit etc.).

Die Wahl der kostengünstigen Ausführung von Bauteilen gehört zum kleinen Einmaleins der Konstruktion. In vielen Fällen ist die Aufgabe relativ einfach. Bei nicht alltäglichen Bauaufgaben sind gute Lösungen aber echten Könnern vorbehalten. Zu den schwierigeren Fällen gehören beispielsweise weitgespannte Stahlkonstruktionen, hohe Montagehallen mit schweren Kranen, Betondecken mit hohen Nutzlasten und dergleichen mehr.

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Prinzip 3: Serieneffekte ausnutzen

Eine der effizientesten Methoden, um im Bauwesen Kosten zu senken, ist die Verwendung von günstigen Industrieprodukten und somit im weiteren Sinne das Praktizieren der Vorfabrikation – meint man. Leider irrt man sich hier nur allzu häufig. Man ist immer wieder frustriert über die hohen Kosten von Systemen und die saftigen Preise von angeblich günstigen Industrieprodukten.

Einige Beispiele sollen die Problematik erhellen. Klassisch ist die Frage bei der Vorfabrikation von Betonbauteilen. Als unvoreingenommener Beobachter muss man feststellen, dass die Betonvorfabrikation heutzutage im Vergleich zu früher ein kümmerliches Dasein fristet. Eine Blütezeit hat sie während der Zeit des Wirt-schaftswunders erlebt, bis ungefähr zur Rezession von 1973/74. Die sogenannten Göhner-Siedlungen im Raum Zürich beispielsweise sind aus industriell hergestellten geschosshohen Betonplatten erstellt worden. Heute dagegen werden nur noch ganz vereinzelt Plattenbauten ausgeführt.

Es erstaunt daher kaum, dass selbst bei sehr technischen Gebilden wie Parkhäusern Vorfabrikation nicht zwangsläufig wirtschaftlich sein muss. Bei einem von mir vor einiger Zeit betreuten derartigen Projekt ist Ortbetontechnik sorgfältig mit Vorfabrikation verglichen worden: Das handwerkliche Betonieren an Ort hat sich als günstiger herausgestellt.

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Handwerkliche Ortbetontechnik: günstiger als industrielle Vorfabrikation 

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Ähnlich ist es im Stahlbau: Generell sind Stahlbausysteme eher teurer, sicher aber nicht wesentlich günstiger als (handwerkliche) Konstruktionen nach Mass mit Vollwandprofilen.

Alles andere als preisgünstig sind vielfach auch komplexe Industrieprodukte wie beispielsweise Sanitärapparate. Selbst simple Metallkonstruktionen wie Haltegriffe und Geländer sind als Serienprodukte beim industriellen Hersteller manchmal teurer als beim lokalen Metallbauer, der sie nach Mass herstellt.

Dieser scheinbare Widerspruch zur landläufigen ökonomischen Logik hat verschiedene Ursachen. Teilweise mögen Marktabsprachen eine gewisse Rolle spielen, etwa beim bekannten Sanitärkartell. Ein wichtigerer Grund sind aber die zu kleinen Serien für viele Produkte. Die Kosten für Systementwicklung, Systemunterhalt und Marketing sind derart hoch, dass sie die Einsparung bei der Serienfertigung wieder zunichte machen. Dies dürfte beispielsweise bei einigen Stahlbausystemen der Fall sein. Das Resultat: der lokale Unternehmer ist mit handgestrickten Lösungen gleich teuer oder günstiger.

Falsch wäre es nun, vorschnell zu kapitulieren und den Segen industrieller Serienproduktion und Vorfabrikation abzuschreiben. Nachstehend einige Ideen, wie man auch in der gewerblich geprägten Bauwirtschaft davon profitieren kann:

Einkauf professionalisieren

Der Einkauf hat in der üblichen Planungsfirma noch nicht den Stellenwert, den er haben sollte. In Industrieunternehmen ist die Beschaffung in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. In vielen Branchen wird primär mit der Einkaufsabteilung Geld verdient. Von dem bemerkt man in den Architekturbüros, die gesamthaft gesehen für gigantische Summen einkaufen, noch wenig. Wo sind die kollektiven Einkaufsorganisationen? Wo ist die Strategie, um Kartelle umgehen zu können? – Wer kostengünstig planen und bauen will, kommt um einen guten Einkauf nicht herum. Die Chance wird dadurch grösser, im Dickicht des Marktes die preiswertesten Marktleistungen zu finden.

Industrielle Methoden kreativ ausnutzen

Vielfach braucht es etwas Phantasie, um Kosten zu senken. An einem traditionell teuren Bauteil will ich illustrieren, was man darunter verstehen kann. Nehmen wir an, in ein Reihenhaus soll eine gewundene Treppe aus Beton eingebaut werden. Aus Kostengründen drängt sich Vorfabrikation geradezu auf. Es ist aber reiner Zufall, wenn die vorgesehene Treppe ab Katalog bestellt werden kann. Was tun? Eine Sonderanfertigung wäre vermutlich preislich nicht so interessant. Der geschickte Einkäufer fragt daher bei den Lieferanten nach bereits vorhandenen ähnlichen Schalungen. Möglicherweise lohnt es sich, die Treppe einer vorhandenen Schalung anzupassen, was eine Frage von wenigen Zentimetern sein dürfte. Das Resultat der Flexibilität sind günstigere Kosten.

Kostengünstiger Einkauf von Industrieprodukten setzt voraus, dass man mit Kreativität und Improvisation ausnutzt, was der Markt preiswert liefern kann.

Beschränkung auf wenige Grössen und Typen

Es ist immer von Vorteil, wenn man Industrieprodukte in Serien einkaufen kann und nicht als Summe von Einzelanfertigungen. Dies gilt etwa bei Fenstern, Türen, Storen, Küchen, Treppengeländern, Balkonbrüstungen und dergleichen. Es lohnt sich daher, sich beim Entwurf auf wenige Typen zu beschränken. Es ist nicht gesagt, dass man dadurch in jedem Fall viel Geld spart. Aber meiner Ansicht nach sollte man eines der wichtigsten Gesetze der Wirtschaft überhaupt, das Gesetz der Kostendegression durch Serienproduktion, nicht leichtfertig von vornherein über Bord werfen. Der planerische Aufwand ist klein, der damit verbunden ist.


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